Gelähmt, könnte man sagen. Ja, ich fühle mich wie gelähmt, wenn ich Artikel zur Psychotherapie lese, wie er gerade in der ZEIT erschienen ist („Wenn die Seele Hilfe braucht: Was macht eine gute Psychotherapie aus?“ Ausgabe vom 3. November 2016). Nicht, dass die Dinge in dem Artikel nicht stimmen würden, aber es fehlt ein so großes „Auch“. Die Psychoanalyse ist die Methode, die sich am intensivsten mit der Psyche des Menschen befasst. Doch sie findet im ZEIT-Artikel am wenigsten Platz. (Bild: ZEIT. Text: Dunja Voos – zum Beitrag angeregt worden von dem Psychoanalytiker Christian Dürich, herzlichen Dank!)
Die Erfahrung mit der eigenen Psyche zeigt: Es ist nicht so einfach
Wer Psychoanalytiker wird, legt sich selbst mehrmals pro Woche auf die Couch, um die eigene Seele zu erkunden. Daneben behandelt er Patienten auf der Couch, die zutiefst leiden und die zuvor alles Mögliche ausprobiert haben. In der Psychoanalyse begreift man wirklich: Die Psyche ist hoch komplex. Sie lässt sich einerseits verstehen, andererseits bleibt sie auch immer etwas Mystisches. Hingegen schreibt die Autorin des ZEIT-Artikels, Corinna Schöps:
Das Wirksame wird nicht immer deutlich
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Oftmals bleiben die heilsamen Prozesse „mystisch“. Der Patient sagt: „Komisch: An dieser Stelle geht es mir viel besser. Ich fühle, dass die Besserung durch die Analyse zustande gekommen ist, aber ich kann nicht sagen, was genau dazu geführt hat.“ Je länger ich Psychoanalysen durchführe und selbst erfahre, desto mehr merke ich: Psychoanalyse wirkt.
Ich spüre jedoch auch mehr und mehr, dass sich Psychoanalyse – aus meiner Sicht – nicht mit den Mitteln der „modernen Psychotherapieforschung“ erforschen lässt, obwohl diese Frage unter Psychoanalytikern immer wieder diskutiert wird. Bei den Psychoanalytikern gibt es verschiedene Ansichten: Einerseits forschten die Analytiker seit jeher und es gibt – entgegen der Behauptung im ZEIT-Artikel – zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit der Psychoanalyse gut belegen (siehe „Psychoanalyse und Psychodynamische Therapien wirken“).
Skeptisch
Ich selbst denke inzwischen wie die Psychoanalytikerin Egle Laufer, die im Video „Encounters through generations“ sagt, dass wir uns auf „Shaky Ground“ begeben, wenn wir versuchen, die Psychoanalyse so zu erforschen, wie wir Medizin und Psychotherapien heute erforschen (z.B. mit randomisiert-kontrollierten Studien). „We haven’t got a microscope. We have an analytic session“, sagt sie. Die Psychoanalyse lässt sich vielleicht mit der Quantenphysik vergleichen, während andere Therapieformen sich auf „handfeste“ Physik konzentrieren.
Psychoanalytische Elemente in modernen Psychotherapien
Und doch finden sich immer wieder Ansätze in anderen Psychotherapieformen, die als „neu“ und „modern“ gelten, die jedoch schon seit eh und je Gegenstand der Psychoanalyse sind. Die ZEIT schreibt: „Das Besondere an Cbasp (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy): Der Kranke bekommt zu hören, welche Gefühle er beim Gegenüber auslöst.“ Das ist das klassische psychoanalytische Konzept der „Gegenübertragung“, wobei immer ausgiebig diskutiert werden kann, wann und wie eine Gegenübertragung ausgesprochen, analysiert oder einfach nur bemerkt werden soll. Auch das Element „Üben, Üben, Üben“ finden wir bei Freuds „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ (Sigmund Freud, 1914).
Psychotherapie à la carte
Heute soll die Psyche kategorisiert und die Psychotherapie „spezialisiert“ werden (Indikationsspezifische Psychotherapie): Für jede psychische Störung soll das passende Konzept gefunden werden. In der modernen Psychotherapieforschung wird zum Beispiel mit Manualen gearbeitet, das heißt, die Psychotherapeuten therapieren relativ strikt nach Anweisung. Es wird genau beobachtet, ob sich die Studien-Therapeuten an die Studienhandbücher (Manuale) halten. Gleichzeitig steht aber im ZEIT-Artikel, dass besonders erfolgreiche Therapeuten „intuitiv und nicht so methodisch“ vorgehen (5. Spalte).
Große Qualen
Wie kompliziert die Psyche wirklich ist, zeigt sich natürlich bei psychotischen Patienten. ZEIT-Autorin Corinna Schöps schreibt: „Daher wird auch bei den Schizophrenen gar nicht erst versucht, ihnen den Wahn auszureden. Sie werden aber ermuntert, genauer zu schauen, ob es für das Erlebte nicht andere Erklärungen geben könnte, als dass böse Mächte sie verfolgen.“ Hier wird die hilfreiche Wirkung wohl sehr gering sein.
Psychoanalytiker kennen hier das Konzept der inneren Objekte: Die nahen Bezugspersonen „in uns“ bzw. die Vorstellungen über die nahen Bezugspersonen haben oft eine große Macht. Der psychoanalytische Ausdruck des „Malignen Introjekts“ lässt ahnen, wie schwer man „innere Verfolger“ los wird. Und auch als gesunder Mensch weiß man, wie quälend innere Stimmen sein können oder schwer sich das „innere Bild“ einer „bösen Mutter“ verändern lässt.
Über das Denken das Fühlen beeinflussen – das klappt oft nicht
Verhaltenstherapeuten wollen häufig das Fühlen durch eine Veränderung des Denkens beeinflussen. Doch viele Patienten, die zum Psychoanalytiker kommen, sagen: „Mir haben diese ganzen Denkveränderungen nicht geholfen. Ich fühle immer noch so.“ Die Patienten spüren, dass es so ist, aber sie können oft nichts dagegen tun. Ein Zeichen von psychischer Gesundheit ist es, die Schwächen, den Schmerz, die Hilflosigkeit, die Unwissenheit zu ertragen. Es gibt vieles, das wir selbstwirksam beeinflussen können. Aber in der Psychoanalyse haben wir es mit den Stellen zu tun, an denen die Patienten und auch die Psychoanalytiker – zunächst vielleicht – völlig hilflos sind.
Hier kommt die Idee der Achtsamkeit ins Spiel, die im nächsten ZEIT-Artikel mit dem Titel „Mit Buddha auf der Couch“ (von Jochen Paulus) ihren Platz findet. Doch gerade auch in der Psychoanalyse geht es um diese Achtsamkeit: Der Patient findet heraus, was er gerade denkt und fühlt. In der Psychoanalyse arbeitet man daran, dass diese Gefühle und Gedanken nicht direkt abgewehrt werden. Sie sollen dem Patienten eben „bewusst“ werden. Oft sind diese Gedanken und Gefühle dann so schrecklich, sie sind häufig so gewaltsam oder so beängstigend, dass der Patient fragt: „Aber was kann ich jetzt tun?“. Dieses Konzept, die Wahrheit zu finden und den Schmerz auszuhalten, findet sich besonders deutlich bei dem Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) wieder.
Fazit
Der ZEIT-Artikel macht implizit auf ein bestehendes Problem aufmerksam: Die Psychoanalyse bleibt am Rand, obwohl sie am intensivsten von allen Methoden die Psyche erforscht. Die Psychoanalyse selbst lässt sich vielleicht nicht mit den zur Zeit üblichen Mitteln erforschen. Ich möchte aber doch mit meiner psychoanalytischen Arbeit weiterhin zum Gesundheitssystem gehören. Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen den Patienten die Psychoanalyse weiterhin ermöglichen. Dazu ist es aber wichtig, die Psychoanalyse bekannter zu machen. So sollte sie in einem so ausführlichen ZEIT-Artikel über die Psychotherapie auch ihren Platz finden.
Vielleicht ist es an der Zeit, mit den verschiedenen Methoden das zu tun, was der Patient mit seinen seelischen Anteilen irgendwann tun kann: Er kann die Anteile integrieren. Er kann sie in einen größeren Zusammenhang einordnen. Daraus erwächst die Frage: Wie kann die Psychoanalyse sicher Teil des Systems bleiben, obwohl sie vielleicht viele der Antworten nicht liefern kann, die zur Zeit gefordert werden? Wie können Journalisten dazu motiviert werden, über die Antworten, die die Psychoanalyse seit langem geben kann, zu berichten? Die Lösung ist das Gespräch, der Austausch. So viele Experten wurden in dem ZEIT-Artikel befragt, aber eben kein Psychoanalytiker. Vielleicht ändern die Kommentare und Leserbriefe der Psychoanalytiker ja etwas daran.
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Link:
Jonathan Shedler: Where is the evidence for evicence-based therapies?
Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (Sigmund Freud, 1914, textlog.de)