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Welche Erfahrungen haben Sie mit Psychoanalyse gemacht?

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psychoanalyse_erfahrungenSie haben eine Psychoanalyse gemacht und sie hat Ihr Leben verändert? Sie haben gute oder weniger gute Erfahrungen gemacht? Sie fühlen sich vielleicht sogar retraumatisiert? Wenn Sie mögen, mailen Sie mir: voos@medizin-im-text.de. Ich würde gerne einige Erfahrungsberichte hier im Blog veröffentlichen. Einen bewegenden Beitrag finden Sie bereits hier:

Anna Lena Schmidt (Pseudonym) schreibt:
„Liebe Frau Dr. Voos,
ich habe auf ihrem Blog die Anfrage nach Erfahrungsberichten gelesen und da war es mir gleich ein Bedürfnis, Ihnen von meiner Erfahrung zu berichten. Für mich war nämlich meine psychoanalytische Therapie wirklich eine Erfahrung von unschätzbarem Wert bzw. ist es noch. Ich habe bislang ca. 200 Stunden erhalten und bin für jede einzelne Stunde dankbar. Natürlich ist es langsam an der Zeit, mich zu verabschieden. Dies ist mir auch wichtig, ich möchte nicht für immer in einer asymmetrischen Beziehung bleiben, in welcher es hauptsächlich nur um mich geht, auch wenn ich jetzt akzeptieren kann, selbst mal so viel Gutes erhalten zu haben, ohne etwas zurückgeben zu müssen.

Dass mir der anstehende Abschied auch wehtun wird, zeigt mir, dass es eine wertvolle emotionale Begegnung für mich war, die ich für immer in meinem Herzen tragen werde. Schon allein deswegen würde ich mir wünschen, dass viele schwer traumatisierte Menschen, die sich auf eine solche Behandlung einlassen können und wollen, eine solche Behandlung bekommen. Ich möchte nicht zu detailliert schreiben, weil es mir zu intim ist – und zwar nicht, weil mir was peinlich ist, sondern, weil meine Gefühle sind, die einfach mir gehören, genauso wie all jeder einzelne wundervolle Moment, der mein Herz erfüllt und mich letztendlich gerettet hat.

Es ist mir auch wichtig, das jetzt zu äußern, weil meine vorangegangenen Therapien (die anderen kassenfinanzierten Therapieformen) nicht hilfreich für mich waren, ja gefährlich, weil diese versucht haben, mich in ein Lehrbuch zu pressen und mir eine fatale Fehldiagnose zu verpassen, wodurch ich gar keinen Raum bekam, mich mit meinem wirklichen Schmerz auseinanderzusetzen: Ich wurde von meinen beiden Eltern emotional schwer missbraucht und körperlich misshandelt, was dazu führte, dass meine erste Beziehung von sexuellem Missbrauch geprägt war.

Auch wenn ich mich aus der krankhaften Beziehung selbst befreit habe, hatte ich natürlich mit den Folgen zu kämpfen und brauchte dringend Hilfe. Und nun musste ich mich jahrzehntelang mit Therapeuten herumschlagen, die mich nicht wahrnehmen, mich regelrecht verleugnen und mir Dinge andichteten, die ich nie getan habe. Das ging seelisch und körperlich so an meine Substanz, dass ich fast daran gestorben wäre – und zwar nicht durch Suizid, sondern weil es mein Körper einfach nicht mehr verkraften konnte. Ich war leider aber auch nicht mehr in der Lage, das Problem ohne Hilfe zu überstehen – und ich hatte auch Verantwortung für alle, denen ich irgendwie am Herzen lag.

Also startete ich einen letzten Versuch und sammelte meine letzte Kraft, um mir eine Therapeutin zu suchen, bei der ich wirklich ein gutes Gefühl habe, mir ging es weniger um die Psychoanalyse, welche ich eher aus Karikaturen (wie traurig!) kannte. Nach einem halben Jahr Suche fand ich sie und war dann auch bereit, noch eine Weile zu warten, bis wir richtig loslegen können.

Als sie mir sagte, sie böte nur Psychoanalyse an und ich müsste dreimal pro Woche kommen und mich auf die Couch legen, war ich dazu bereit, ich wollte alles versuchen – und habe es nie bereut. Ich hatte auch große Angst, gleich zu Anfang, weil ich fühlte, dass es jetzt ernst wird – ich musste erstmal mein Waffenarsenal abbauen, welches ich für meine Therapeutin nicht benötigte. Grundlegend war, dass sie mir ganz aufmerksam zugehört hat, dass sie Fehler zugegeben hat, dass sie taktvoll war, dass sie in der Lage war, das Gefühl der Hilflosigkeit auszuhalten und mich immer spüren ließ, dass ich ihr irgendwie am Herzen liege, dass sie mich wertschätzt.

Sie hat sich stets um mich bemüht (m.E. mehr, als es von einem Therapeuten verlangt wird) und sich mit mir auseinandergesetzt, sich über mich geärgert, sich über mich gefreut. Ich war stets ganz aufmerksam, mir war niemals langweilig. In jeder Sitzung, für die 50 Minuten, besteht eine ganz reale Beziehung zwischen zwei Menschen, da ist es ganz lebendig. Da ist Raum, um das Herz schlagen zu spüren. Dass es für mich auch so hilfreich war, liegt vielleicht daran, dass ich selbst das Glück habe, trotz allem sehr neugierig zu sein und Menschen in mein Herz zu lassen – so auch meine Therapeutin. Es war sehr hilfreich, dass ich von Anfang an fühlte, dass ich sie gern habe, mich dafür nie geschämt und ihr das auch mitgeteilt habe. Wie gesagt, ich lebte schon vor der Analyse in einer erfüllten Beziehung, welche sich durch die Analyse gefestigt hat und überhaupt sehr profitiert hat.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass es hier problematisch werden könnte: Menschen, die sich sehr zurückgezogen haben, keine Eigenverantwortung übernehmen möchten, könnten sich in der Therapie verlieren (das gilt nicht nur für Psychoanalysen, aber dort vielleicht besonders, weil man dort den größten Raum bekommt). Ich kenne leider einige, die dann von ihren Therapeuten Dinge verlangen, die einfach nicht gehen und auch nicht gut wären. Es besteht die Gefahr, die warmherzige Haltung des Therapeuten überzubewerten.

Ich weiß für mich, dass mir die warmherzige Atmosphäre geholfen hat, die schlimmen Dinge meines Lebens und deren Folgen durchzuarbeiten und mich mit dem, was mich so ausmacht, mehr zu akzeptieren. Das ist nämlich nicht leicht für mich, da ich mich oft für meine innerlichen Wunden schäme. Es war sicherlich auch hilfreich, dass ich mich nicht aus der Ruhe bringen lassen habe, dass ich in der Behandlung selbstverständlich auch sehr gelitten habe – es war aber auszuhalten, weil ich wusste, dass es das Vergangene war, der Schmerz, den ich vorher nie richtig fühlen konnte, und weil ich fühlte, dass ich in dem Moment nicht allein war. Das waren Dinge, die ich meiner Meinung nach nicht in meinen realen Beziehung hätte so ansprechen können – es hätte ihnen schaden können: Sind sie doch in einer Weise mehr mit mir verbunden, als meine Therapeutin.

Ich habe viel mehr in der Analyse erhalten, als ich je zu hoffen vermocht hätte: Ich habe mein inneres Schlachtfeld nicht nur überlebt, was eingangs mein Ziel war, sondern auch gewisse Folgeprobleme auflösen können, habe mehr erfahren, wer ich bin, was ich möchte, habe mich mehr schätzen gelernt, habe gelernt, dass meine Entwicklung nicht zwangsläufig ein krankhafter Prozess war, sondern nur eine Reaktion auf die schweren Umstände in meinem Leben. Ich bin nicht symptomfrei, aber das ist, glaube ich, nicht Sinn der Psychoanalyse – aber ich glaube, ich kann jetzt damit leben und allein dadurch sind sie schon abgeschwächt. Ich konnte mich auch zuvor schon gut mit Menschen verbinden – nun fühlt es sich aber viel intensiver und schöner an. Und ich hoffe, dass viele Menschen, die solche Intensivmedizin brauchen – das ist die Psychoanalyse irgendwie -, sie auch bekommen.

Wenn ich Ihren Blog lese, habe ich den Eindruck, Sie sind ebenfalls ein sehr warmherziger Mensch und Sie können bestimmt Ihrem Patienten in ähnlicher Weise helfen, wie es mir widerfahren ist. Ich hoffe und wünsche für Sie, dass Sie für Ihre Arbeit die entsprechende Wertschätzung erfahren, dass die Psychoanalyse anerkannt wird und am Leben bleibt in dieser schnelllebigen Gesellschaft und dass Sie Ihre Lebendigkeit, die in Ihren Beiträgen zum Ausdruck kommt, behalten – es fühlt sich einfach gut an beim Lesen.
Seien Sie herzlich gegrüßt
Anna Lena Schmidt“


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