Es bleibt der Traum vieler Menschen, ein „Trauma“ schnell wegzukriegen. Doch unter dem Begriff „Trauma“ ist vieles zu verstehen. Das Bestreben, Unangenehmes so schnell wie möglich weg zu bekommen kennen wir aus vielen Bereichen der Medizin und Psychologie. Immer wieder erhalte ich Post von Therapeuten und Patienten, die mir schnellere und bessere Methoden als die Psychoanalyse vorschlagen. Insbesondere mit der EMDR ließen sich Traumata effektiver und rascher verarbeiten, so ihre Argumentation.
Was ist schon ein Trauma?
Ich arbeite täglich mit schwer traumatisierten Menschen zusammen, was auch immer „traumatisiert“ heißen mag. Es gibt „Punkttraumata“ wie z.B. einen Großbrand, eine Überschwemmung oder eine Gewalterfahrung. Es macht einen Unterschied, ob ein gesunder Erwachsener ein Punkttrauma erlebt oder ob es einem psychisch geschwächten Menschen widerfährt. Es macht einen Unterschied, ob das Trauma von der Natur, von fremden Menschen oder nahen verwandten ausgelöst wurde. Dann gibt es die „Mikrotraumen“, die vielen kleinen Verletzungen, denen vielleicht ein Kind über Jahre ausgesetzt war und die das Kind psychisch krank werden ließen. Es gibt alptraumartige Kindheiten, die aus vielen Punkttraumata und einem riesigen Brei von Katastrophen bestanden, die sich kaum einzeln benennen und beschreiben lassen – die Folge ist ein ständiges Gefühl der Bedrohung.
„Machen Sie auch Traumatherapie?“, werde ich gefragt.
In der Psychoanalyse hat der Analytiker meistens mit Menschen zu tun, deren gesamte Kindheit „ein“ schweres Trauma hinterließ. Die Betroffenen können kaum befriedigende Beziehungen führen, kämpfen mit einem schwachen Selbstwertgefühl, wirken vielleicht „unsympathisch“, aggressiv und abweisend, sie können sich kaum berühren lassen, scheuen Zärtlichkeiten, geraten mit Menschen sehr leicht in Streit, sie schlafen schlecht, fühlen sich einsam, sehen im anderen den Angreifer und vieles, vieles mehr.
Wenn man nun sagen könnte: „An diesem Punkt erlebte ich das Trauma, seither bin ich ständig misstrauisch und schreckhaft“, dann ist vielleicht „schnelle Hilfe“ möglich. Aber so etwas kann man bei den Patienten, die in eine Psychoanalyse kommen, gar nicht sagen. So vieles spielte sich im vorsprachlichen Bereich ab, dass die Worte fehlen. Auch Traumata verschlagen einem die Sprache. Die Patienten müssen häufig erst etwas „inszenieren“, damit „das Trauma“ zur Sprache kommen kann. Sie kommen zum Beispiel lange sehr viel zu früh oder sehr viel zu spät, sie lassen Stunden ausfallen, sie verwickeln den Analytiker in Streit, sie haben die Phantasie, der Analytiker könne sie angreifen und vieles mehr. Erst durch unzählige Szenen wird deutlich, worum es bei dem Patienten überhaupt ging, wie die Traumen überhaupt aussehen. Das wird nur deutlich im fast täglichen Kontakt mit dem Patienten.
„Wiederkäuen retraumatisiert“
Viele haben die Vorstellung, dass das häufige Erzählen traumatischer Erfahrungen die Betroffenen „retraumatisiert“ (= erneut psychisch verletzt). Manche Patienten berichten, dass sie die Psychoanalyse an dieser Stelle wirklich als retraumatisierend erfahren haben. Es ist unerlässlich, dass Patient und Analytiker gut zusammen passen und dass der Analytiker ein feines Gespür für den Patienten hat. Traumata kommen meistens in einer warmherzigen Atmosphäre in hilfreicher Weise wieder zum Vorschein. Die Berichte von Patienten, die sich durch die Analyse überfordert fühlen, hängen oft mit einer unguten Beziehung zum Analytiker zusammen. Natürlich kann auch die „kalte Atmosphäre“ das Trauma wieder aufleben lassen – aber wenn es dann nicht aufgefangen wird, leidet der Patient über die Maßen.
„Kalte“ und „warmherzige“ Analysen
Bei „kalten“ Analysen, wie ich sie nenne, scheint sich der Analytiker sehr zurückzuziehen und der Patient ist zu viel mit sich allein. Bei den „warmherzigen“ Analysen fühlt sich der Patient unterstützt und liebevoll behandelt (was für traumatisierte Menschen auch ein Problem sein kann). Der Analytiker denkt immer auch über seine eigenen Anteile nach, die dazu beitragen, dass sich eine Stunde so entwickelt, wie sie sich eben entwickelt. Wenn der Patient sich wirklich gut aufgehoben fühlt in der Analyse, wird er von sich aus das Bestreben haben, die traumatischen Erfahrungen immer wieder zu erzählen. Aber es retraumatisiert ihn dann nicht, weil er das Gefühl hat, endlich im Nachhinein einen Zeugen an seiner Seite zu haben. Er durchlebt vieles wieder, aber jetzt ist er nicht mehr allein.
Der Analytiker fühlt und kennt den Schmerz
Psychoanalytiker wie Neville Symington oder Wilfred Bion sagen, dass der Analytiker mit dem Patienten in Resonanz gehen kann. Der Analytiker kann in sich nach ähnlichen Erfahrungen suchen, die ähnliche Schmerzen in ihm auslösten. Der Analytiker hat vielleicht andere Traumata erlebt, aber er kennt den Schmerz. Diesen Schmerz „sucht“ er quasi in sich. Er lässt ihn durch den Patienten anklingen. Der Patient hat dann einen Analytiker an der Seite, der mit ihm fühlt. Das Erleben, dass da jemand wirklich den Schmerz mitfühlt, dass da jemand quasi durch eine innere Tür hinzukommt und einen halten kann, ist von unschätzbaren Wert.
Der Patient merkt, dass er nun das Schreckliche zu zweit fühlen kann. Diese Erfahrung ist oft so eindrucksvoll, dass er später auch alleine seinen Schmerz halten kann und sich in der Erinnerung mit dem Analytiker verbunden fühlt. Es gelingt ihm dann vielleicht auch, sich anderen Menschen in einer Weise anzuvertrauen, dass er sich von ihnen hilfreich berührt fühlt.
Beziehungen werden wieder befriedigender
Traumatische Erfahrungen sind hochkomplex. Sie haben unglaubliche Auswirkungen auf das Beziehungserleben der Patienten. Das Schlimme ist, dass die Betroffenen sich oft kaum anderen Menschen so öffnen können, dass die anderen etwas damit anfangen können. Es fällt ihnen schwer, Worte zu finden. Es fällt ihnen schwer, sich anderen Menschen mit dem Wunsch zu nähern, berührt zu werden, sich berühren zu lassen und andere emotional und mit Worten zu berühren. Es fehlt ihnen an Vertrauen.
In der Psychoanalyse kann Vertrauen entstehen. Der Analysand verändert sich – er kann später anders auf andere Menschen zugehen. Wer traumatisiert ist, wird immer wieder in Schüben seine furchtbaren psychischen Schmerzen erleben. Aber in der Analyse macht der Betroffene die Erfahrung, dass er diese Schmerzen in sich erkennen und halten kann, dass er in der Beziehung zu anderen Menschen nicht mehr so einsam ist und dass er sich auf andere Menschen verlassen kann.
Mit langem Atem
Für viele ist es eine wunderbare Erfahrung, eben nicht „schnell“ das Trauma „wegbekommen“ zu sollen, sondern jemanden zu finden, der sie darauf vorbereitet, dass es meist ein lebenslanger Prozess ist, mit seinen Traumen zu leben. Endlich das Gefühl zu haben, dass da nicht schnell etwas wegradiert werden soll, ist für viele eine große Bereicherung und Entlastung. Mit einem anderen gemeinsam zu erkennen: „Ja, das war wirklich schlimmm“ ist so wichtig.
Niemand ist „austherapiert“, solange er lebt
Schwer traumatisierte Menschen sind jahre- und jahrzehntelang auf der Suche, bis sie Hilfe finden. Viele halten sich für „nicht therapierbar“ oder „austherapiert“. Aber das sind sie nicht. Sie haben sich häufig nur von dem Wort „schnell“ irritieren lassen und dachten, sie machen etwas falsch.
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