„Ich war so froh, als der Tag kam, dass ich ins Heim konnte“, sagt Sebastian. „Ich hätte trotz aller Gewalt nicht von meiner Familie weg gewollt“, sagt Andrea. Im Radio sagt eine Pädagogin: „Wir wollen die Kinder stärken. Wir wollen ihnen erklären, wo Missbrauch anfängt.“ Es klingt so intellektuell – so weit weg. Das Kind, das missbraucht wird, spürt, dass da etwas nicht stimmt. Schon Kleinkinder spüren, wenn da was „nicht richtig“ ist. Was intellektuelle Erwachsene dazu sagen, verwirrt sie oft. „Ich ruf mal deine Mutter an“, sagt ein eifriger Lehrer, der helfen will. „Oh Gott, dann prügelt sie mich tot“, denkt das Kind. Ein Glück für das Kind, dass der Lehrer nie anrief. Gewalt gegen Kinder ist so ein sensibles Thema. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Früherkennung beim Kinderarzt und Co.
Früh sollen die Kinder zum Kinderarzt, damit er Gewalt erkennen und helfen kann. Das mag manchmal gehen. Doch auch das ist nicht so einfach. Der Druck, der auf die Eltern ausgeübt wird, ihr Kind beim Kinderarzt vorzustellen, erhöht den Druck in der Familie. Wehe, das Kind versagt beim Kinderarzt! Wehe, es kommt irgendetwas zum Vorschein! Verrat ist für die Familien das Schlimmste. Bloß verstecken, was da ist, lautet das Motto. Und je stärker die „guten Bemühungen von außen“, desto stärker der Druck auf die Kinder in den Gewalt-Familien.
Moralisierende Helfer
„Manche Mütter können auch in der Schwangerschaft die Finger einfach nicht vom Alkohol lassen“, sagt der gesunde Fernseh-Arzt moralisierend. Als ob er noch nie etwas davon gehört hätte, dass Alkoholabhängigkeit eine echte Krankheit ist. Der „gesunde Helfer“ geht davon aus, dass man leben will, dass man gesund leben will, dass man konstruktiv an seiner Gesundheit mitarbeitet. Der „Kranke“ jedoch lebt oft in solch undenkbaren Umständen, dass er nicht am Leben hängt. Das Aufbauen hat nie geklappt – alles, was ihm bleibt, ist die Zerstörung. Der gesunde Helfer will, dass das Kind im Mutterleib gesund bleibt. Dass eine Mutter anders denken und fühlen könnte, weil sie eben psychisch vollkommen geschwächt ist, das fällt schwer, sich vorzustellen.
Helfen ja, aber in Demut
Die Bemühungen der Helfer sind gut. So viele Menschen engagieren sich, Kindern aus gewalttätigen Familien zu helfen. Aber wir brauchen bei diesem Thema sehr viel mehr Demut. Erklären, dass der Körper der eigene ist, die Eltern zum Gespräch bitten, einen Helfer in die Familie schicken usw. hilft nur dann, wenn man es in Demut tut. Es hilft nur dann, wenn sich der Helfer in die emotionale Not der gewalttätigen Eltern einfühlen kann. Wer das misshandelte Kind sieht, vergisst oft die Eltern. Doch sie waren meist ebenso Opfer wie ihr heutiges Kind. Sie konnten keine stabilen psychischen Strukturen aufbauen. Sie verdienen es, selbst als Opfer ihrer Vergangenheit und ihrer inneren zerstörerischen Kräfte angenommen zu werden. Nur so kann man den Kreislauf durchbrechen.
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