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Wie gut trägt die Psychotherapie? „Ich kann Ihnen nur beistehen – gehen müssen Sie den Schritt allein.“

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tragen„Ich weiß, dabei kann mir keiner helfen – ich muss den Schritt schon alleine gehen“, sagen viele Patienten bereits in der ersten Stunde ihrer Psychotherapie. Sie kennen diese Sätze aus psychiatrischen Kliniken und haben oft grundsätzlich die Erfahrung gemacht, dass ihnen nie wirklich jemand hilft. Vielleicht glauben die Menschen in unserem Gesundheitssystem – Therapeuten wie Patienten -, dass es in der Psychotherapie nicht erlaubt wäre, zu tragen und getragen zu werden. In der Körpermedizin ist das anders: Da werden Menschen beatmet, wenn sie selbst nicht mehr atmen können. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Selbst ist der Patient

Manche Menschen, besonders solche mit einer „frühen Störung“, fühlen sich manchmal so schwach und verzweifelt, dass sie das Gefühl haben, kaum noch einen Schritt alleine gehen zu können. Psychiater geben dann gerne Medikamente und Psychotherapeuten sagen vielleicht: „Letzten Endes müssen Sie sich schon selbst helfen.“ Wenn die Therapie „versagt“, wird meistens dem Patienten die Verantwortung dafür gegeben, seltener dem Therapeuten.

Auch die Psyche kann getragen werden

In einer Psychoanalyse gibt es da mitunter eine andere Haltung. Kinder brauchen die Mutter unbedingt als Container, damit sich ihre Psyche entwickeln kann. Fehlt dieser Container, fehlt es später häufig auch an psychischem Raum: Die Fähigkeit, Gefühle zu spüren, zu ertragen und auszudrücken, ist in vielen Bereichen kaum entwickelt. Der Analytiker stellt sich dem Patienten als „Container“ zur Verfügung – so, wie es die Mutter für ihr kleines Kind macht. Er ist für den Patienten 4- bis 5-mal pro Woche da.

Der Psychoanalytiker trägt den Schmerz mit.

Das Instrument ist die Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Der Patient braucht den Therapeuten für seine Entwicklung. Er kann gewisse Schritte eben nicht alleine gehen – das hat er oft schon sein Leben lang versucht. Er ist abhängig. Diese Abhängigkeit ist es, die ihn zu Recht verzweifeln lässt, wenn die Kosten für seine Psychotherapie nicht mehr von der Krankenkasse getragen werden. Es ist diese Abhängigkeit, die Angst macht.

Ein Raum entsteht
Der Analytiker hilft dem Patienten, einen mentalen Raum zu entwickeln. Manchmal ist da am Anfang nicht mehr als ein klitzekleiner Spalt. An dieser Stelle verlangt so mancher Therapeut seinem Patienten viel zu viel ab. Manchmal haben die Patienten nicht die Fähigkeit, die Schritte zu gehen, die Therapeuten von ihnen erwarten. „Arbeiten muss der Patient schon selbst. Wo sollte es sonst auch hinführen? Die Patienten sollen auf keinen Fall zu sehr gepampert werden“, höre ich von einem Verhaltenstherapeuten.

Schwach kann jeder sein

Mitunter haben Psychotherapeuten selbst Angst vor der Regression des Patienten. Die Schwäche des Patienten erinnert sie vielleicht an ihre eigene Schwäche und an ihre begrenzten Möglichkeiten. „Wird er/sie wieder aufstehen können?“, lautet die bange Frage. Die kanadische Autorin Margaret Fishback Powers (siehe Brunnen-Verlag) schrieb eine schöne Geschichte über das Getragenwerden. In dieser Geschichte ist es Gott, der trägt, aber auch in einer Psychoanalyse kann man sich getragen fühlen, wenn die eigene Energie nur noch wie ein kleines Flämmchen flackert. Der Analytiker kann dem Patienten Kraft geben, wie die Mutter und der Vater dem Kind Kraft geben können. Ist der Grundstein gelegt, kommt die Entwicklung dann oft wie von selbst.

Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel
erstrahlten, Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen
vorübergezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
dass in den schwersten Zeiten meines Lebens
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?

Da antwortete er: Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.

Margaret Fishback Powers


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