Neid ist ein ärgerliches Gefühl, das entsteht, wenn eine andere Person etwas für sich selbst Wünschenswertes besitzt oder genießt. So beschrieb es die Psychoanalytikerin Melanie Klein (1957). Beim Neid ensteht der Impuls, dem anderen das Wünschenswerte wegzunehmen oder es ihm zumindest zu verderben. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Niederreißen
Wenn der andere etwas hat, was man selbst nicht hat, können feindselige Gefühle entstehen. Es kommt das Gefühl auf, selbst defizitär zu sein. Man möchte den anderen einfach niederreißen (Van de Ven, Zeelenbeg & Pieters, 2009). Während beim benignen (gutartigen) Neid der positive Antrieb besteht, so zu werden wie der andere oder das zu erreichen, was der andere erreicht hat, ist der maligne Neid von Gefühlen der Minderwertigkeit und Feindseligkeit geprägt.
Israelische Studie untersucht Neid und Bindung
Amit Baumel und Ety Berant von der Bar-Ilan-Universität in Ramat-Gan, Israel, untersuchten den Zusammenhang zwischen Bindungen und dem Wunsch, den vermeintlich Überlegenen aufgrund von Neid niederzureißen. Der Wunsch, den anderen herunterzuziehen steht oft für sich – man hat im Neid (zunächst) keinen konkreten Plan, aber man spürt, dass man dem anderen schaden und seinen Erfolg mindern möchte. Gelingt es und erreicht der andere die eigene, niedrigere Stufe, so geht es dem Neidischen besser.
Neid will man loswerden
Oft wird Neid als furchtbares Gefühl empfunden, das man schnell loswerden will – zum Beispiel dadurch, dass wir den anderen für uns „unwichtiger“ machen wollen. Der Wunsch, selbst dazuzulernen und sich zu verbessern, ist bei malignem Neid nicht mehr vorhanden. Darunter leiden besonders Menschen, die durch schlechte Bindungen zu den Eltern zutiefst verunsichert sind.
Oftmals sind ihre Bindungen auch im Erwachsenenalter erschwert, weil die Betroffenen misstrauisch geblieben sind oder sich Freunde suchen, die das bekannte „Schlechte“ fortsetzen. Unsicher gebundene Menschen leiden oft unter einem geringen Selbstwertgefühl.
Weitgehend sicher gebundene Menschen haben mehr Selbstvertrauen. Sie können Probleme eher als sinnvolle und wachstumsfördernde Herausforderungen ansehen. Diese Menschen sind oft kreativ.
„Der andere soll mich nicht verlassen, also unterdrücke ich negative Gefühle – auch Neid.“
Wer unter Bindungsangst leidet, fühlt sich gelähmt. Bindungsangst geht einher mit der Sorge, der andere könnte einen schnell verlassen oder nicht verfügbar sein, wenn es einem schlecht geht. Dadurch werden die Betroffenen „hyperaktiv“ in dem Bemühen, vom anderen Liebe und Hilfe zu erlangen.
„Ich bin schlecht“
Überwiegend unsicher gebundene Menschen erleben sich öfter als defizitär und vergleichen sich mit anderen oft in einer Weise, durch die es ihnen noch schlechter geht. Anstatt den Ärger oder Neid zu spüren, drehen die Betroffenen die Situation um und konzentrieren sich auf ihre eigenen „Fehler“, um den anderen nicht angreifen zu müssen. Sie betonen, wie sehr sie den anderen brauchen.
Es kommt zu „nicht-komplementären Vergleichen“. Der Betroffene fühlt also nicht: „Ah, der andere ist ‚besser‘ als ich und ich bin neidisch auf den anderen“, sondern er erniedrigt sich selbst und sagt: „Ich kann ja eh nichts.“ Weil der überwiegend unsicher gebundene Mensch sich abhängig vom anderen fühlt, versucht er, ihm zu gefallen. Er will, dass der andere sich bei ihm wohlfühlt (damit er bleibt), also schmeichelt er ihm und bewundert seinen Erfolg.
Unsicher-vermeidende Bindung
Wer Bindungen vermeidet, vertraut nicht darauf, dass der andere es schon gut meinen wird. Er ist stark bemüht, Unabhängigkeit zu erlangen und emotionale Distanz aufrechtzuerhalten. Wenn der andere viel erreicht, fühlt es sich für den Neider wie ein Angriff auf ihn an. Bindungs-vermeidende Menschen setzen auf Strategien der „Deaktivierung“, damit sie den Schmerz nicht mehr spüren müssen. Sie verleugnen ihre Bedürfnisse nach Bindung und unterdrücken ihre Gefühle. Sie versuchen, mit Denken ihren gefühlsmäßigen Problemen entgegenzuwirken und durch Denken den emotionalen Schmerz zu bannen.
Unbewusste Gefühle
Viele Menschen sind sich oft gar nicht bewusst, dass sie starke Gefühle in Situationen entwickeln, in denen sie sich minderwertig fühlen. Bindungs-vermeidende Menschen sind in eifersüchtigen Zweiersituationen eher wütend auf einen Dritten: Eine andere Person, mit dem die Bindungsperson eine eifersuchtserregende Beziehung hat, soll zum Teufel geschickt werden. Vermeidend Gebundene haben oft keinen Zugang zu ihrer negativen Selbstwahrnehmung; stattdessen nehmen sie den anderen als extrem negativen Menschen wahr.
Forschung an unbewussten Gefühlen ist schwierig
Da vielen Betroffenen gar nicht bewusst ist, wenn sie neidisch sind, ist die Erforschung von Neid auch sehr schwierig. Studien über das Scheitern zeigen, dass die Gescheiterten oft die Erklärung für den Erfolg der anderen darin suchen, dass die Familie oder Beziehungen zum Chef zum Erfolg geführt hatten (Hill & Buss 2008, siehe unten).
In der vorliegenden Studie zeigt sich, dass Neid besonders dann provoziert wird, wenn der Beneidete der neidischen Person ähnelt. Amit Baumel und Ety Berant untersuchten 14 Studenten (59 Männer, 65 Frauen) zwischen 20 und 32 Jahren. 46% schätzten sich als überdurchschnittlich „reich“ ein, 40% als durchschnittlich „reich“. Die Forscher provozierten bei den Studenten Neid und ließen sie dann verschiedene Fragen beantworten.
Den Wert schmälern
Das Ergebnis: Unterschiedliche Bindungsstile sind mit unterschiedlichen Formen des malignen Neids verbunden. Ablehnend-vermeidend gebundene Studenten zeigten eine größere Tendenz, den anderen herunterzuziehen als ängstlich-vermeidend gebundene Studenten. Ängstlich gebundene Studenten tendierten in dieser Studie dazu, sich selbst als besonders negativ einzuschätzen. Neid-provozierende Situationen führten zu schmerzlichen Gefühlen und zur Verminderung des Selbstwerts.
Unsicher gebundene Studienteilnehmer neigten dazu, den Kontakt zu anderen zu meiden, weil sie sich defizitär fühlten und Angst hatten, abgelehnt zu werden. Bindungsvermeidende Teilnehmer schützten sich vor Enttäuschungen, indem sie versuchten, alles so einzurichten, dass sie sich zwingend nur auf sich selbst verlassen konnten. Dabei verleugneten sie ihre eigene Bindungsbedürftigkeit.
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Studien, Quellen, Links:
Baumel, Amit and Berant, Ety (2015):
The role of attachment styles in malicious envy.
Journal of Research in Personality 55 (2015): 1-9
http://dx.doi.org/10.1016/j.jrp.2014.11.001
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092656614001123
Hill, SE & Buss, DM (2008):
Social comparison and envy.
In R.H. Shmith:
Envy: Theory and research: pp 73-93
New York: Oxford University Press
Klein, Melanie (1957):
Envy and Gratitude: A study of unconscious sources.
The International Behavioural and Social Sciences Library
Melanie Klein Trust (Editor) (15-Mar-2013)
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van de Ven, Niels; Zeelenberg, Marcel; Pieters, Rik:
Leveling up and down: The experiences of benign and malicious envy.
Emotion, Vol 9(3), Jun 2009, 419-429
http://dx.doi.org/10.1037/a0015669
http://psycnet.apa.org/journals/emo/9/3/419/
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 26.10.2015
Aktualisiert am 7.9.2016