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Sollen wir „Gedankenhygiene“ betreiben?

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saubere_gedanken_2„Gedanken kann man sich aussuchen wie Schuhe aus einem Schuhregal.“ Dieser Satz stammt von einem Verhaltenstherapeuten. Man solle auf seine Gedanken achten und nur die guten zulassen, höre ich immer öfter. Es sei wie beim „Schmerzgedächtnis“: Schlechte Gedanken würden spezielle Nervenstraßen und Spuren hinterlassen, die immer tiefer und stärker würden, wenn man sie all zu oft zuließe. Aber ist das so? Macht es Sinn, auf seine Gedanken in dem Sinne zu „achten“, dass man positive Gedanken bevorzugt und negative, gar „dreckige“ Gedanken meidet? (Text & Bild: © Dunja Voos)

Abwehr

Unlust wollen wir nicht haben – wir wehren sie ab. Wenn wir ein schlechtes Gewissen haben, versuchen wir, uns durch logisches Denken zu beruhigen. Klappt aber nicht wirklich. Das Gefühl ist meistens stärker. Erst eine neue Einsicht oder eine Wiedergutmachung können unser schlechtes Gewissen lindern. Gedanken, die wir verdrängen, sind nicht weg. Sie landen im Unbewussten. Oder sie landen sozusagen in einem anderen Menschen, der auf einmal „neidisch, böse, hochmütig“ erscheint. Doch in ihm sehen wir dann, was wir von uns selbst weggeschoben haben.

Nervenstraßen

Das mit den Nervenstraßen ist ja ein schönes Bild, aber nicht immer für das Psychische zutreffend. Beispielsweise zweifele ich das „Schmerzgedächtnis“ an, weil ich sehr oft erlebt habe, wie neue Erfahrungen den zuvor chronischen Schmerz sehr rasch auf der Strecke lassen können, ohne dass eine erhöhte Empfindlichkeit bestehen bleibt. Ich denke, mit den Gedanken ist es ähnlich.

Der Kampf zwischen Schwarzsehen und positivem Denken

Wir können den ganzen Tag negativ denken und den ganzen Tag einen Kampf mit diesen Gedanken führen. Wir versuchen, die negativen Gedanken durch positive Gedanken zu ersetzen. Wir vergessen dabei aber, dass die Gedanken an Gefühle geknüpft sind und dass wir negativ denken, weil wir einen Grund dafür haben. Erst eine neue emotionale Erfahrung, wie zum Beispiel echter Trost, echtes Verstandenwerden oder das Finden von Wahrheit wird dafür sorgen, dass das „negative Denken“ von jetzt auf gleich aufhört. Da ist keine dicke Nervenstraße eingefahren. Es hat uns einfach an der guten Begegnung, an der guten Beziehung, an der neuen Idee oder Erfahrung gefehlt.

Sich mit Interesse begegnen

Natürlich können wir auf unsere Gedanken „achten“ – aber nicht in dem Sinne, dass wir an ihnen herumfeilen. Wir können auf sie achten, indem wir bemerken, was wir denn da denken. Und was wir dabei fühlen. Und dann können wir sagen: „Oh das ist ja interessant.“ Dann kann man den Gedanken anschauen, ihn betrachten.

Jeder Gedanke kann innerlich erlaubt sein, wenn wir sicher sind, dass unsere Grenzen fest sind und dass man uns unsere Gedanken im Einzelnen nicht an der Stirn ablesen kann. Der andere erkennt höchstens Stimmungen oder Irriationen. Aber was wir denken, wissen nur wir. Da ist es doch schöner, Gedanken frei über die Wiese laufen zu lassen, als sie zu steuern wie wir heute kleine Kinder ständig steuern wollen. Laufen lassen, frei lassen, beobachten und Erfahrungen damit machen. Das ist doch viel spannender und verleiht auf Dauer mehr Tiefe.

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Links:

Am Anfang war die Beziehung – nicht das Wort.
Blog „Analyze that“ von Christian Dürich


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