„Meine alte Therapeutin hat während der Sitzung immer mitgeschrieben“, sagt ein Patient. Er ist irritiert, dass der neue Therapeut nicht mitschreibt. Ob er sich alles merken kann? Während der Sitzung mitzuschreiben kann Vorteile haben, weil man die Informationen chronologisch ordnen kann. Durch das Mitschreiben können sich manche Therapeuten besser konzentrieren. Beim Patienten kann dadurch das Gefühl entstehen, dass das, was er sagt, gut gehalten wird und einen Platz findet. Er spürt, dass es wichtig ist, was er sagt. Das Mitschreiben hat jedoch auch Nachteile. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Sich hinter dem Notizblock verstecken
Manche Therapeuten schreiben gerade zu Beginn ihrer Therapeuten-Tätigkeit sehr viel mit. Sie wollen nichts vergessen. Doch der Notizblock kann auch als Versteck dienen: Solange der Therapeut schreibt, braucht er den Patienten nicht anzugucken. Der Therapeut kann dadurch das Gefühl haben, eigene Ängste besser unter Kontrolle zu halten und vor dem Patienten zu verstecken.
„Ich kann nur davor warnen, die Zeit der Behandlung selbst zur Fixierung des Gehörten zu verwenden. Die Ablenkung der Aufmerksamkeit des Arztes bringt dem Kranken mehr Schaden, als durch den Gewinn an Reproduktionstreue in der Krankengeschichte entschuldigt werden kann.“
Fußnote bei „Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose“ (1909) (PDF)
Die Vorteile des Nicht-Mitschreibens
Macht man sich während der Stunde keine Notizen, so ist man frei. Man kann sich entspannt hinsetzen und die Stimmung aufnehmen. Man kann den Patienten anschauen, sich ihm widmen, muss nichts festhalten. Der „freischwebenden Aufmerksamkeit“ ist keine Grenze durch einen Notizblock gesetzt. Ist die Stunde vorbei, wird sie niedergeschrieben. Viele Therapeuten sind gerade zu Beginn ihrer Tätigkeit erstaunt, wieviel sie sich – ganz ohne Notizen – sehr gut merken können.
Mal so, mal so
Viele Therapeuten schreiben manchmal mit und manchmal nicht. Jeder macht es anders. Interessant ist es da immer, was die Patienten über ihre Erfahrungen mit schreibenden oder nicht-schreibenden Therapeuten erzählen. Zu den schönsten Sätzen gehören für mich:
„Die hat bestimmt die ganze Zeit nur Strichmännchen gemalt.“
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.1.2015
Aktualisiert am 4.8.2015