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Reizdarmsyndrom: Gedanken wollen ausgedrückt werden

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reizdarm_psychoanalyseDas British Medical Journal hat im Juni 2015 einen Übersichtsartikel zum Reizdarmsyndrom veröffentlicht: Irritable bowel syndrome: new and emerging treatments. Immer noch gibt es nicht DIE Therapie, die das Problem löst. Neben möglicher körperlicher Ursachen sind besonders auch die möglichen psychischen Hintergründe interessant. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Das Reizdarmsyndrom weist auf Beziehungsprobleme hin

Das Reizdarmsyndrom symbolisiert häufig einen Kampf. Beziehungen zu anderen sind schwierig, aber auch die Beziehung zu sich selbst ist kompliziert. Wir wollen alles auf den Punkt genau von uns geben. Beim Reizdarmsyndrom geht es um das Warten, das Erwarten, um Druck, um das Abgeben, das Zurückhalten, das Beherrschen, das Loslassen und Ausstoßen. Es geht um das Absondern und das „Sich-Ausdrücken“.

Gedanken und der Dickdarm

Unsere Gedanken wollen wir „ausdrücken“. Sie kommen aus unserem Mund heraus. Doch was machen wir mit Gedanken, die wir nicht ausdrücken? Sie drücken auf den Magen, sie machen Bauchschmerzen und sie machen unruhig. Sprachlich finden sich viele Verbindungen zwischen dem Dickdarm und den Gedanken. Zerstörerische Gedanken wollen wir loswerden. Aber wir wollen keinen „Mist von uns geben“. Auch der Dickdarm entfernt das aus dem Körper, was „giftig“ und unbrauchbar ist. In ihm kann es gären.

Das Schlechte soll raus

Wir wollen gedanklich „ausmisten“, wir wollen „das Schlechte abgeben“ und das Gute behalten, aber wir wollen auch nicht „leer ausgehen“. Wir wollen eigentlich niemandem „in den Arsch kriechen“ – und tun es doch manchmal. Wir lassen uns „bescheißen“ und wünschen uns einen Dukatenesel, der Geld scheißt. Der Darm speichert Inhalt, so wie unser Denkapparat unsere Gedanken speichert, bis wir sie im richtigen Moment rauslassen können. Mit Druck funktioniert weder der Stuhlgang noch das Denken. Am besten funktioniert der Darm, wenn wir nicht über ihn nachdenken müssen. Aber was passiert, wenn wir die Kontrolle abgeben? Man kommt einfach nicht „zu Potte“ mit seinen Ideen und Wünschen.

Gedanken an die Geburt

„Kindergebären ist wie Melonen-Scheißen“, sagte eine Bekannte. Kleine Kinder bringen gedanklich die Geburt und das „Ausdrücken der Wurst“ miteinander in Verbindung. Viele kleine Kinder haben die Vorstellung, dass da später einmal das Baby rauskommt, oder dass die Wurst einem Penis ähnelt.

Verwechslung mit der Angst, woanders zur Toilette zu gehen
Manchmal ist es gar kein Reizdarmsyndrom, sondern das ganz normale Einsetzen der Verdauung bei Entspannung. Man ist beim Shoppen entspannt – und muss auf einmal zur Toilette. Man sitzt beim Arzt im Wartezimmer, froh, endlich angekommen zu sein und dann kommt der Druck. Eigentlich ein Zeichen der Entspannung, denn für die Verdauung ist der Parasympathikus verantwortlich. Das Problem ist aber die Scham. Das Problem ist die Angst, woanders als zu Hause auf die Toilette zu gehen. Wie frage ich danach? Werde ich gehört? Darf ich das? So sehen die „neurotischen“ Fragen aus, die dem normalen Drang, zur Toilette zu gehen, folgen. Wenn man dann nicht zur Toilette geht, obwohl man muss, können die Symptome des Reizdarms entstehen: Krämpfe, Verstopfung oder Durchfall.
Die Angst vor dem Stuhlgang im Allgemeinen und/oder auf öffentlichen Toiletten heißt Rhypophobie (rhypo = altgriechisch „Dreck, Schmutz“).

Traditionell chinesische Medizin: Dickdarm, Lunge und Haut hängen zusammen – sie scheiden aus

Beim Reizdarmsyndrom ist besonders der Dickdarm betroffen. Beim Dickdarm geht es um das Ausscheiden, um das Loslassen. Aber auch um das Zurückhalten. Im Dickdarm kann ein Feuer brennen. Hier wird normalerweise Wasser zurück in die Blutbahn resorbiert. Bei Durchfällen ist es umgekehrt: Da heißt es „Wasser marsch“. Der Dickdarm ist nach traditionell chinesischer Medizin verbunden mit der Lunge – auch hier geht es beim Ausatmen um das entspannte Loslassen. Dickdarm und Lunge sind nach traditionell chinesischer Medizin wiederum mit der Haut verbunden. Die Haut ist ein Ausscheidungsorgan, aber auch ein Kontaktorgan. Der Reizdarm tritt fast immer in Situationen des Kontaktes auf. Der Kontakt macht Druck.

Eine lesenswerte Arbeit über den Darm aus chinesischer Sicht hat Andrea Domján verfasst: Der Darm – Ein Mystisches Organ (PDF)

Den Darm sanieren und aufräumen

Im Zusammenhang mit Darmkrankheiten ist oft die Rede von „Ausmisten, Entgiften, Sanieren, Reinigen, Entleeren“. Wir wollen uns erleichtern. Die Vorstellung, einen sauberen Darm zu haben stimmt mit der Vorstellung überein, innerlich „rein“ zu sein. Wer im Inneren seiner Psyche „schmutzige Gedanken“ hat, der ist ein „schlechter Mensch“. Er hat drückende Schuldgefühle. Nichts wünscht sich der Mensche mit Schuldgefühlen so sehr wie eine Absolution. Die Entlastung von Schuldgefühlen spielt psychisch eine ebenso große Rolle wie körperlich das Entleeren des Darms.

Genug philosophiert – was hilft?
  1. Es kann hilfreich sein, sich Gedanken zu machen über den Zusammenhang zwischen dem Dickdarm und den psychischen Vorgängen. Man stellt vielleicht fest: „Achja, ich kann schlecht loslassen.“ Dann kann man sich Gedanken dazu machen, welche Befürchtungen beim „Loslassen“ auftreten. Manchmal findet man gedanklich eine „Lösung“, entspannt sich und entlastet dadurch den Darm.
  2. Beim Reizdarmsyndrom ist es so, als wohne im Darm ein hyperaktives Kind, das zum Sitzenbleiben gezwungen wird, obwohl es eigentlich Bewegung bräuchte. Bewegung entspannt den Darm. Tägliche Bewegung, am besten ein Ausdauersport, kann den Darm beruhigen. Aus chinesischer Sicht wird beim Sport das Lungen-Chi gestärkt, was wiederum zu einem gesunden Darm führt.
  3. Manchmal helfen innere Vorstellungen, z.B. die Vorstellung, dass man seinen inneren Raum erweitert – psychisch wie körperlich. Man kann sich vorstellen, dass man „Ungelöstes“ vielleicht besser toleriert und dem „Ungelösten“ einen Platz gibt.
  4. Entschleunigung ist wichtig. Den Druck aus dem Leben zu nehmen, hilft beim Reizdarmsyndrom.
  5. Prüfen, ob der Reizdarm nicht auch ein Zeichen von Aggression ist. Manche Menschen bekommen Durchfall immer nur dann, wenn sie einer bestimmten Person gegenüberstehen. Die Aggression zu spüren ist wichtig – dann kann man überlegen, wie man sie anders loswerden könnte oder ausdrücken könnte als durch Durchfall.
  6. Achten Sie darauf, wann Sie natürlicherweise zur Toilette müssen und versuchen dann, sich jeden Tag zur selben Zeit die Gelegenheit zu geben, zur Toilette zu gehen.
  7. Sich Zeit lassen. Wenn Sie heute mit guten Vorsätzen beginnen, mit Sport, Entspannungsübungen, Visualisationsübungen, gesunder Ernährung etc., dann wird es dauern, bis sich das Neue eingespielt hat.
  8. Gehen Sie dann zur Toilette, wenn Sie müssen und versuchen Sie, es nicht allzu lange aufzuschieben.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Rhypophobie: Die Angst vor dem Stuhlgang
www.medizin-im-text.de/blog/tag/reizdarm

Links:

Sigmund Freud (1917):
Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik
Gesammelte Werke, www.textlog.de:
„Ausgangspunkt dieser Erörterungen kann der Anschein werden, daß in den Produktionen des Unbewußten — Einfällen, Phantasien und Symptomen — die Begriffe Kot (Geld, Geschenk), Kind und Penis schlecht auseinandergehalten und leicht miteinander vertauscht werden.“

Zur Fragen der Ernährung:
Die Buchautorin Michaela Barthel hat mit ihrem Buch „Adieu Colitis“ (Vitale-Landkueche.de) schon vielen Menschen mit Colitis, Morbus Crohn und Reizdarm geholfen. Aktuell ist sie auf der Suche nach Menschen, die ihre Probleme überwunden haben. Wer Kontakt mit ihr aufnehmen möchte: info@vitale-landkueche.de

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