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Colitis ulcerosa und die Psyche

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674119_web_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.deViele Patienten mit einer Colitis ulcerosa versuchen gerade am Beginn der Erkrankung, ihre Beschwerden herunterzuspielen – sie „dissimulieren“. Dabei hoffen sie, dass der Arzt schon merken wird, wie schlecht es ihnen geht. Die Colitis ulcerosa wird oft rein körperlich betrachtet. Dabei zählt sie nicht nur zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), sondern ist oft auch eine psychosomatische Erkrankung (Holy Seven). (Text: © Dunja Voos, Bild: © Rainer Sturm, www.pixelio.de)

Die Suche nach Geborgenheit

Auch, wenn es keine typische Colitis-Persönlichkeit gibt – viele Patienten wirken jünger als sie sind und sehnen sich sehr nach Geborgenheit. Vor den Schüben gibt es manchmal psychische Belastungen, die der Betroffene als solche nicht erkennt oder bagatellisiert. Außenstehende sehen jedoch den Zusammenhang eher. Die oft unbewusste Angst, einen anderen Menschen zu verlieren oder auch der tatsächliche Verlust einer wichtigen Bezugsperson kann zum ersten Schub führen. Trennung, Abschied, Leistung und Erfolg sind zentrale Themen der Patienten.

Weg mit den Gefühlen!

Für manche Patienten ist der Durchfall die einzige Möglichkeit, sich von inneren Spannungen zu befreien. In manchen Situationen sind die Betroffenen zu schüchtern, um sich mit Worten „auszudrücken“. Der Psychoanalytiker und Internist George Engel und der Psychosomatiker Arthur Schmale vertraten diese Theorie der „Affektabfuhr“.

Die Eltern früh verloren

Der Psychosomatik-Professor Wilfried Biebl konnte bereits 1984 nachweisen, dass Patienten mit sehr schweren Verläufen häufig ähnliche Schicksale erlebt hatten: Bis zum 15. Lebensjahr war ihre Kindheit von vielen negativen Erlebnissen geprägt; häufig hatten sie ihre Eltern verloren.

Strenge Eltern im Inneren

Wer dominante Eltern hat und von zu Hause auszieht, der ist sie nicht unbedingt los. Der Psychosomatiker Professor Herbert Weiner (1921–2002) hat festgestellt, dass dominante Eltern innerlich „weiterleben“. Manchmal befolgen die Patienten dann noch immer die strengen Normen der Eltern und leben nicht so, wie sie sich selbst am wohlsten fühlen würden.

Der Psychosomatiker Professor Michael Wirsching konnte nachweisen, dass die Familien der Patienten sehr stark zusammenhalten. Die einzelnen Familienmitglieder sind untereinander aber kaum abgegrenzt, wohingegen die Familie sich nach außen hin isoliert und recht starr ist.

Der eigene Körper – ein Fremder?

Wie wir unseren Körper erleben, hängt von Entwicklungen in der frühen Kindheit ab. Wenn Eltern wenig acht geben auf die Körperfunktionen des Kindes oder wenn sie diese extrem kontrollieren, dann entwickelt das Kind kein gutes Körpergefühl. Manchmal wird der Körper dann als fremd erlebt. Das Körperempfinden ist auch bei der Colitis ulcerosa manchmal gestört. Die Verlässlichkeit des Körpers wird infrage gestellt. Der Arzt und Psychoanalyseprofessor Peter Kutter (1930-2014) wies bereits 1988 auf die Störungen der Körperbesetzung bei Colitis ulcerosa hin.

Körperliche Symptome können viele Patienten nur schwer einschätzen. Auch gehen sie oft über die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit hinaus. Gerne geben die Patienten die Verantwortung für den Körper an andere ab, z.B. an Ärzte.

Viele junge Menschen sind betroffen

In Deutschland leiden etwa 28 pro 100 000 Einwohner an Colitis ulcerosa. Viele trifft es zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr – Männer wie Frauen sind gleich häufig betroffen. Bei der Colitis ulcerosa ist der Dickdarm entzündet und Blut tritt punktförmig aus der Darmschleimhaut aus (Colon = griechisch „Darm“, -itis = griechische Wortendung: „Entzündung“, ulcus = lateinisch „Geschwür“, -osa = lateinisch „reich an …“).

Ursache unbekannt

Die Colitis ulcerosa ist vermutlich eine Autoimmunkrankheit. Wenn die Erkrankung über 10 Jahre dauert, steigt das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Daher sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen wichtig. Manchmal leiden die Patienten auch an Ekzemen, Aphthen im Mund oder an Gelenkentzündungen. Sie haben zumeist das Gen namens „HLA-B27″. Als Medikamente kommen oft Cortison und Sulfasalazin zum Einsatz.

Wer die Zusammenhänge zwischen der körperlichen Erkrankung und der Psyche besser verstehen möchte, der findet oft Erklärungen in einer psychoanalytischen Therapie. Adressen liefert die Website der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatik, Psychoanalyse, Psychotherapie und Tiefenpsychologie e.V. (DGPT).

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www.medizin-im-text.de/blog/tag/reizdarm

Literatur:

Stephan Ahrens:
Lehrbuch der psychotherapeutischen Medizin.
Schattauer Verlag Stuttgart 1997: 471–475

Link:

Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e.V. (DCCV)

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 12. Januar 2006
Aktualisiert am 14.7.2015


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