Patienten können in der Psychoanalyse heftige Gefühle im Analytiker auslösen. Meistens bringt eine Übertragung automatisch eine Gegenübertragung mit sich. Wenn ich krank bin und den Arzt als guten Vater sehe, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sich auch so fühlt und entsprechend reagiert („Wie es in den Wald hineinruft, so schallt’s hinaus“). Die Kunst in der Psychoanalyse besteht für den Analytiker darin, sich bewusst zu sein, was da passiert. Er kann sich teilweise auf das Geschehen einlassen, hat aber einen inneren Beobachter, der Abstand hält. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Abstand
Ähnlich erlebt es der Patient häufig: Er hat starke Gefühle im Zusammensein mit dem Analytiker, aber er bemerkt doch oft, dass er das Geschehen mit einem bestimmten Abstand betrachten kann. Er spürt, dass seine Gefühle mit seiner Vergangenheit und der analytischen Situation zu tun haben. Das nennt man dann „therapeutische Ich-Spaltung“.
Blind
Manchmal aber verliert sich dieser Abstand auf beiden Seiten: Der Patient steckt unglaublich stark in seinen eigenen Gefühlen und beeinflusst den Analytiker heftig, in der Hoffnung, irgendwie Erleichterung zu finden. Wenn der Analytiker an diesem Punkt selbst verletzlich und geschwächt ist, ist es möglich, dass er voll und ganz dem Patienten entsprechend reagiert. Beide können dann zum Beispiel „blind“ sein vor Wut. Dann hat eine „totale Identifizierung“ stattgefunden: Der Analytiker hat sich ganz und gar mit dem Patienten identifiziert, er fühlt ohne Abstand ganz und gar dasselbe und handelt so, wie jeder andere in dem Moment auch handeln würde.
Reverie
Im Unterschied dazu kann der Analytiker, wenn es ihm gut geht und er eine funktionierende innere Grenze („Contact Barrier“) hat, bewusst eine träumerische Haltung einnehmen und sich dann teilweise mit dem identifizieren, was der Patient ihm da zeigt und an Gefühlen bringt. Er hat dann eine träumerische Haltung (er befindet sich in einem Zustand der „Reverie“, also des Träumens oder der Trance) und kann sich selbst beobachten. Er spürt, wie er teilweise die Gefühle des Patienten übernimmt, sich also teilweise schuldig fühlt oder wütend wird oder ähnliches. Er findet in sich selbst die Gefühle, die er selbst kennt und die denen des Patienten gerade entsprechen. Er kommt in Resonanz mit dem Patienten. Aber er bleibt „beweglich“ und handlungsfähig. Er kann den Schmerz des Patienten sehr genau mitfühlen, weiß, dass er selbst solche Schmerzen in sich trägt, dass er in Resonanz gegangen ist, aber er fühlt immer noch seinen eigenen Kern. So ist er „er selbst“ und momentan „anders“ als der Patient und gleichzeitig zutiefst verbunden mit ihm.