Einsamkeit fühlt sich hart an. Viele leiden unter ihrer Partnerlosigkeit, so manch einer hat gar keine Familie. Manche Menschen sind durch einen Wechsel der sozialen Schicht in die Einsamkeit geraten, andere durch Auswanderung oder Flucht. Viele haben in der Kindheit Gewalt erlebt. Sie wurden als Einzelkinder groß oder haben den Kontakt zu Geschwistern abgebrochen. Das Leben ohne Familie kann zutiefst beunruhigend sein: Man hat niemandem im Rücken. Wenn man mal ins Krankenhaus muss oder von einer Reise zurückkehrt, ist niemand für einen da. In diesen Fällen ist es ganz besonders wichtig, auf etwas zu achten, was nicht leicht ist: sich berühren zu lassen, andere zu berühren, Gefühle zu zeigen und zu vertrauen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Familienlos
„Eine Familie ist eigentlich nur eine Familie, wenn man mit Vater, Mutter, Geschwistern und Tanten reden kann. Wenn sie förderlich sind und einem den Rücken stärken. Wenn man mit ihnen über Gefühle sprechen kann. Wenn man verhöhnt wird oder auf eine kalte Wand trifft, dann schadet Familie nur. Deshalb habe ich mich abgewendet“, sagt eine junge Frau. In der Kindheit hat sie viel Gewalt erlebt. Sie fühlt sich, als sei sie mit viel Mühe einem Kriegsgebiet entflohen. „Manchmal fühle ich mich wie eine Trümmerfrau – alles muss ich ganz alleine aufbauen“, sagt sie.
Wie bei Igeln: Abkapseln, um Verletzungen abzuwehren, ist nicht sinnvoll, wenn man gefüttert werden will
Wer unter schwierigen Umständen groß wurde, der hat oft Eines gelernt: sich abzukapseln. Offen zu sein, Gefühle zu zeigen, bedeutete, Verletzungen einzukassieren. Sobald man sich verletzlich machte, hatte man den Salat. Viele Eltern hatten so sehr Angst vor ihren eigenen Gefühlen, dass die Gefühle der Kinder nicht willkommen waren. Diese Zurückweisungen haben schon früh das Pflänzchen „Einsamkeit“ gegossen. Und so wurde man zum Igel, der die Stacheln aufstellt. Das kann bei Feinden sinnvoll sein. Das Problem ist nur: Manchmal trifft man auf Freunde, die einem beim Überwintern helfen wollen.
Neue Wege gehen
Umso wichtiger ist es, dass man als Erwachsener versucht, neue Wege zu gehen. Wer sich zutiefst einsam fühlt, weil er schwere Traumata erlebte und weder Partner noch Familie hat, der fühlt sich besonders verletzlich und kapselt sich leicht ab. Doch hier gilt es, an Mini-Mini-Schritte zu glauben. Man kann das Gefühl von Geborgenheit, Vertrauen und Berührtwerden erlangen, wenn man sich mit sich selbst und anderen verbinden kann. Das Gefühl von Verbundenheit entsteht zum Besipiel über gemeinsame Leidenschaften. Es entsteht, wenn man offen mitteilt, wie man sich fühlt, wenn man zeigt, dass man dem anderen vertraut und wenn man es zulässt, verstanden zu werden. Dann können Gefühle von Berührung entstehen, auch, wenn man nicht körperlich berührt wurde.
Es ist sehr schwer
Wirklich zu zeigen, wie es einem geht, auch zu zeigen, wenn man dem anderen zugeneigt ist, kann eine hohe Kunst sein – vor allem, wenn man verachtende, abweisende, missbrauchende, gewalttätige Eltern hatte. Man machte die Erfahrung: „Ich bin mit Liebe auf den anderen zugegangen, doch der andere wies mich ab oder griff mich gar an. Das, was ich mir ersehnte, konnte ich nicht erlangen oder wenn ich es erlangte, dann war es verdorben.“ Dass es anders sein kann, kann man erfahren. Oft hat man kaum noch die Vorstellung davon, wie es sich anfühlen kann, wirklich berührt zu werden und andere zu berühren.
Man kann es üben und kultivieren
Man kann Dinge wie Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit üben. Es dauert oft viele Jahre, bis man überhaupt die Erfahrung machen kann, wie schön es ist, sich wirklich berühren zu lassen, wirklich verstanden zu werden. Dazu muss man erkennen, wer ein „guter Mensch“ ist. Man muss die Erfahrung machen, dass der warme Kakao, den man sich ersehnt, nicht vergiftet ist. Man muss darauf vertrauen, dass echte Gefühle verstanden werden. Dazu muss man sich selbst häufig erst einmal suchen.
Theater und Echtheit
Man muss den Unterschied zwischen „Schau-Schluchzen“ und echtem Weinen kennenlernen. Theatralisches Weinen wird häufig dann eingesetzt, wenn die Sehnsucht nach Trost besteht, man den Trost aber nicht wirklich zulassen kann. Das Theatralische fühlt sich an wie ein Schutz, aber es lässt einen sehr unbefriedigt zurück, weil der andere einen so nicht wirklich erkennen kann und sich vom Theatralischen abgestoßen fühlt.
Minischritte zählen
Man kann das Gefühl von Verbundenheit über Mini-Schritte erlangen. Aber es ist etwas, was man sich wirklich vornehmen muss. Wenn man einmal den Duft gerochen hat, nachdem man immer suchte, dann wird es leichter. Man hat keine Garantie dafür, dass ein Gespräch gut wird. Man hat keine Garantie dafür, dass innerlich nicht doch Ängste und Aggressionen hochsteigen. Aber man kann dafür sorgen, dass die Umstände stimmen. Man kann eine Atmosphäre schaffen, in der echte Begegnung möglich wird. Der beste Schutz ist nicht die Abwehr. Häufig ist es die Wehrlosigkeit, die zu Verbundenheit, Berührung und Schutz führt.
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