Einsamkeit ist ein fast körperlicher Schmerz. Nicht berührt zu werden, tut unglaublich weh. Das Gefühl des „Nichts“ auf der Haut und in der Seele ist oft kaum auszuhalten und macht unruhig. Oft schämen sich die Einsamen ihrer Einsamkeit. Eine stille Wut auf andere mit Partner und Familie und ein stechender Neid auf alle, die nicht einsam sind, macht sich breit. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Einsamkeit lässt sich nicht so einfach beenden
Wer ein berufliches Ziel erreichen möchte, kann darauf hin arbeiten. Wem es an Geld mangelt, kann versuchen, irgendwie an Geld zu kommen. Doch wem es an Liebe und Beziehung mangelt, der sieht sich oft in einer Art „Unmöglichkeit“ gefangen. Man kann sich zwar in Partnerbörsen anmelden, aber hier zählen keine Zeugnisse, keine Noten, keine Zahlen – hier zählt kaum etwas, was man selbst beeinflussen kann. Natürlich: Man geht zur Kosmetikerin, kleidet sich gut, treibt Sport, beliest sich, geht auf Veranstaltungen. Und doch ist es einfach Glück, auf das man warten muss. Einfach irgendeine Beziehung einzugehen kann die Einsamkeit vergrößern. Man muss warten. Man braucht Geduld.
„Es ist, als säße ich hinter einer Glasscheibe. Um mich herum sind lauter nette Menschen, aber es passiert nicht, dass sie eine Hand zu mir hineinreichen. Sie wollen es erst gar nicht, weil sie selbst nicht einsam sind. Und wenn sie es versuchen, prallen sie an der Scheibe ab“, sagt ein Einsamer. Man fragt sich: Wie ist man dahin gekommen, wo man da gerade ist?
Eine einzige gute Bindung kann ausreichen
Eine einzige gute Bindung kann ausreichen, um das Einsamkeitsgefühl zu lindern oder sogar um es vergehen zu lassen. Wenn wir das Gefühl haben, wir sind gut an den anderen gebunden und der andere denkt an uns, dann haben wir fast das Gefühl, er sei da. Er ist verfügbar. Dann ist es egal, ob wir mit ihm in einem Raum oder Tausende von Kilometern voneinander entfernt sind: entscheidend ist das Gefühl, dass der andere emotional für uns erreichbar ist. Ein Anruf würde genügen, und die Nähe wäre wiederhergestellt.
Ob schüchtern oder gesellig – Verlassenheitsgefühle kennt wohl jeder
Seelische oder körperliche Erkrankungen können genauso zur Einsamkeit führen wie plötzliche Schicksalsschläge. Viele einsame Menschen waren jedoch schon von Kindes Beinen an einsam: Es mangelte ihnen an einfühlsamen Eltern, an Geschwistern oder liebevollen Großeltern. Sie haben vielleicht Gewalt erfahren oder fanden in der depressiven Mutter oder dem abwesenden Vater keinen Halt. Eine bodenlose Einsamkeit haben die Betroffenen schon als Kind gespürt.
Seelische Erkrankungen und Einsamkeit geben sich die Hand
Wenn einsame Kinder das Haus verlassen, um zu studieren oder eine Ausbildung zu beginnen, führt sich diese Einsamkeit oft fort. Von der eigenen Familie nicht gehalten, fehlt es diesen jungen Menschen oft an Mut, die Welt zu erkunden und vertrauensvoll auf andere zuzugehen. Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung hängen sich oft an andere, weil sie in der Tat wenig andere Menschen haben und hatten, zu denen sie eine tiefere, vertrauensvolle Beziehung eingehen konnten. Doch je mehr sie sich an andere hängen, umso einsamer fühlen sie sich. Sie fühlen sich leer, während die anderen so erfüllt erscheinen. Sie haben Angst davor, sich auch innerlich wirklich zu binden, sich wirklich „abhängig“ zu machen. Manchmal fragen sie sich, ob sie es überhaupt können, ob es ihnen möglich ist oder ob ihnen da eine Art „Anhängerkupplung“ an ihrer Seele fehlt.
Man kann nur schwer von sich selbst aus selbstbewusster werden
„Es ist egal, was andere sagen! Du musst dein Selbstwertgefühl aus dir selbst heraus gewinnen!“ Dieser Satz ist zwar in Mode, aber nicht brauchbar. Denn wir brauchen ein Gegenüber, das uns annimmt, damit wir uns selbst annehmen können. Manchen Menschen reicht es, einen „Gott“ zu spüren, der sie liebt. Andere fühlen sich von der Natur angenommen. Doch die meisten brauchen wohl einfach einen anderen Menschen, der sie annimmt.
Kinder sind fröhlich, wenn die Eltern sie liebend und bestätigend anschauen. Auch der Tag des Erwachsenen ist unbestritten schöner, wenn die wichtigste Bezugsperson ihn mit Liebe anblickt und wertschätzt. Im einsamen Kämmerlein ist es schwer, sich selbst zu lieben, wenn man zuvor nicht die Erfahrung gemacht hat, von anderen wertgeschätzt und geliebt zu werden.
Psychoanalyse kann helfen
Das verlassene Kind versucht als Erwachsener, das Verpasste nachzuholen. Hier kann oft eine Psychoanalyse helfen. In der Beziehung zu einem Psychoanalytiker kann man endlich erfahren, wie es ist, sich gehalten und geborgen zu fühlen. Gleichzeitig kann man erfahren, dass eine gute Beziehung nicht gleichzeitig erdrückt.
Die neue Erfahrung in der Psychoanalyse ermöglicht es, sich nicht mehr so verlassen zu fühlen, wenn man alleine ist. Oft findet man während einer Psychoanalyse die Kraft und den Mut, neue Freundschaften zu schließen und nach einem Partner zu suchen. Alte, schwächende, komplizierte Freundschaften können vernachlässigt und neue, kräftigende Beziehungen aufgebaut werden. Das braucht natürlich Zeit – sehr viel sogar. Oft viele, viele Jahre.
Geld und Natur können bei Einsamkeit helfen
Mit Geld kann man keine Freunde kaufen, heißt es. Doch eine entspannte finanzielle Situation erlaubt es eben doch eher, Einladungen anzunehmen oder Feste zu feiern, Weihnachtspost zu verschicken, eine Internet-Flatrate einzurichten, sich zu Hause eine gemütliche Umgebung zu schaffen oder eben eine Psychoanalyse zu machen, wenn die Kassen „Nein“ sagen. Auch Erlebnisse in der Natur können die Einsamkeitsgefühle mindern. Vielen einsamen Menschen steht aber weder Geld noch Natur zur Verfügung: Sie leben in Betonklötzen und können sich nur das Nötigste leisten. Wenn sie Glück haben, treffen sie auf gute Menschen, die es ihnen ermöglichen, neue Hoffnung zu schöpfen.
Die innere und äußere Verbindung
Einsam fühlt man sich oft, wenn man das Gefühl hat, die Verbindung zu sich selbst verloren zu haben. Wir alle sind Beziehungswesen. Wir wollen zu anderen dazugehören, wir wollen aber auch die „Einzelteile in uns selbst“ verbunden wissen. Wir leben mit „inneren Objekten“ und „Repräsentanzen“, also der Vorstellung von anderen Menschen. Wer mit einer Schwester aufgewachsen ist und sich gut mit ihr verstanden hat, der trägt die Schwester auch im Herzen, wenn sie nicht physisch anwesend ist. Diese „innere Schwester“, das „gute Objekt“, ist irgendwie da und hilft uns. Gibt es in uns überwiegend „gute innere Objekte“ fühlen wir uns weniger einsam, als wenn in uns die kritischen, strafenden, verbietenden, einschränkenden, beschämenden und trennenden Stimmen überwiegen.
Schnelle Lösungen gibt es nicht
Menschen, die einsam sind, wissen es: So schnell lässt sich die einsame Situation oft nicht verändern. Gute Freundschaften bilden sich über Jahre aus. Es dauert lange, neue Beziehungen zu knüpfen, Selbstwertgefühl aufzubauen, die Ausbildung zu beenden, seine Liebe oder auch einfach sich selbst zu finden. Wem es gelingt, gut zu sich selbst zu sein, der fühlt sich oft weniger einsam. Sich selbst liebevoll zu behandeln, sich Beziehung zu gönnen und zu sich selbst zu stehen, sind oft erste Schritte aus der Einsamkeit. Vielen hilft auch ein Haustier – ein tierischer Begleiter ist von unschätzbarem Wert. Auch das Internet kann in Maßen über einsame Zeiten hinweghelfen.
Bewusst Kontakte knüpfen
Der persönliche Brief schafft mehr Kontakt als die E-Mail. Telefonieren ist besser als Mailen. Am wertvollsten sind regelmäßige persönliche Kontakte. Wer den Frust akzeptieren kann, den jeder Abschied mit sich bringt, hat schon viel erreicht. Auch in Gruppen gibt es viel Frust und häufig Einsamkeitsgefühle. Jedes Orchester, jeder Sportverein, jede Lesegruppe und jede Gemeinde besteht aus Menschen mit Fehlern. Wer sich selbst eigene Fehler besser eingestehen kann, der ist auch weniger streng mit anderen. Enttäuschungen gehören immer zum geselligen Leben dazu – doch der dauerhafte Rückzug bringt oft mehr Schmerz mit sich als das Überwinden der Enttäuschungen mit einem Neu-Anfang.
Über die Einsamkeit sprechen
Wenn Sie sich einsam fühlen, sind Sie „in bester Gesellschaft“. So schreibt es die Autorin Katharina Zimmer in ihrem Buch „Die Kunst, allein zu leben“. Bücher über die Einsamkeit können helfen, zu erkennen, dass man längst nicht alleine dasteht. Auch das Buch von Helga Levend, „Einsamkeit – Die Stille nach innen“, enthält viele Anregungen für Menschen, die sich einsam fühlen.
Im Fernsehen oder im Radio Menschen zuzuhören, die genauso denken wie man selbst, kann das Gefühl von Einsamkeit enorm lindern. So fühlt man sich verbunden und verstanden, selbst wenn man den Menschen, der da spricht, (noch) gar nicht kennt. Wer über seine Einsamkeit spricht, wird möglicherweise feststellen, dass auch andere sich trauen werden, darüber zu sprechen.
Sind Männer und Frauen anders einsam?
„Männer sind nach einer Trennung schnell wieder liiert. Frauen, besonders wenn sie Kinder haben, sind oft jahrelang allein“, hörte ich von einem Familienforscher im Fernsehen. Frauen sind am Ende ihres Lebens oft länger allein als Männer – allein aufgrund der höheren Lebenserwartung. Frauen sind oft allein, während sie ihre Kinder groß ziehen. Sie kennen das Alleinsein gut, auch wenn sie selbst häufig darunter leiden. Und doch gibt es natürlich auch Männer, die jahrelang allein sind. Das Einsamkeitsgefühl an sich wird wohl bei beiden Geschlechtern gleich sein. Doch Männer handeln vielleicht schneller: Sie denken vielleicht schneller an Suizid oder aber sie gehen intensiver „auf die Jagd“.
Einsamkeit in Gesellschaft
Viele Menschen sind einsam, obwohl sie mit einem Partner zusammenleben, obwohl sie sich oft unter Freunden befinden oder obwohl sie aus einer großen Familie stammen. Häufig entsteht die Einsamkeit dadurch, dass niemand ehrlich ist. Man ist nicht ehrlich zu sich selbst und stellt sich nach außen anders dar, als man ist. Wenn der andere ebenso verfährt, kann man Tage und Jahre zusammen verbringen und sich niemals wirklich treffen. Wie wertvoll sind da doch die Momente, in denen sich jeder zeigt, wie er ist. Natürlich nicht völlig ungeschützt. Es ist schon wichtig, nicht so viel von sich preiszugeben, dass man sich hinterher wie „nackt“ fühlt. Aber manchmal können schon wenige vorsichtige Worte, echtes Interesse und ehrliches Schweigen zu mehr Gemeinsamkeit führen als Worthülsen, mit denen man viel und doch nichts sagt.
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Buchtipps:
Jörg Wiesse:
Identität und Einsamkeit – Zur Psychoanalyse von Narzissmus und Beziehung
Vandenhoeck und Ruprecht
Robert S. Weiss:
Loneliness: The Experience of Emotional and Social Isolation
The MIT Press Classics
Links:
Julianne Holt-Lunstad et al. (2010):
Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review
(Brigham Young University, Utah, USA)
PLoS Med 7(7): e1000316. doi:10.1371/journal.pmed.1000316
Published: July 27, 2010
Soziale Kontakte verlängern das Leben
Tagesspiegel Wissen, 28.7.2010:
Fromm-Reichmann, Frieda (1959):
Loneliness
Psychiatry: Interpersonal and Biological Processes
Volume 22, Issue 1, 1959
DOI:10.1521/00332747.1959.11023153
Lear, Martha (1987):
The Pain of Loneliness
New York Times, 20. Dezember 1987
Ophir, Orna (2015):
„Loneliness and the Sense of Belonging”
Thoughts about Immigration, Loneliness and Communities of Those Who Do Not Belong
The Candidate, 6/2015
Quinodoz, Jean-Michel:
Ein psychoanalytischer Zugang zur Einsamkeit
Psychoanalyse für Anwender
http://www.fvabz.ch/doks/Einsamkeit.pdf
Loneliness and Attachment
Quelle:
Seepersad, Sean S.:
Understanding Loneliness Using Attachment And Systems Theories And Developing An Applied Intervention.
PDF: S. 5
www.webofloneliness.com
Weiss, Robert S.
„Vater der Einsamkeitsforschung“, University of Massachussetts
John T. Cacioppoy
Einsamkeitsforscher, University of Chicago
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht im Dezember 2012.
Aktualisiert am 8.1.2016