„Ich liebe Dich.“ Ein eindeutiges Gefühl. Für den Moment. Kaum ausgesprochen, kommt der Schrecken: Ist es so? Bleibt es so? War es schon immer so? Und er/sie? Liebt er/sie mich auch? Er/sie sagt es – aber fühle ich mich geliebt? Gefühle sind manchmal wie Quantenphysik: Kaum schaut man die Teilchen an, haben sie sich verändert. Sie lassen sich oft nicht direkt beobachten – sie sind immer im Fluss und doch auch als Grundton da. Auf welche Gefühle kann ich mich verlassen? (Text & Bild: Dunja Voos)
Gemischt
Ein Freund lebt nebenan. Seit Jahren pflegt man eine gute Freundschaft. Doch mag man ihn? Oder ist es nur schön, dass er die Einsamkeit ein wenig lindert? Mit ihm lässt sich Geselligkeit genießen. Er bietet Sicherheit. Er stört nicht. Er ist da, wenn man ihn braucht. Zwischendurch kommen eindeutige Gefühle schlagartig daher: Hass, Liebe, Neid, Eifersucht. Kurz gebissen, mischen sich auch schon wieder vom Acker. Es kommen andere Nuancen hinzu. Hassliebe. Abhängigkeitsgefühle. Mischungen aus Liebe-Eifersucht, Neid-Scham und vielem mehr. Eine schwierige Beziehung.
Denken und Fühlen
Mit jemandem zu schlafen ist etwas anderes als eine wissenschaftliche Abhandlung über Beischlaf zu lesen. Gefühle sind oft so unsicher und lassen sich nicht mit Denken „Ding-fest“ machen. Sich geliebt zu fühlen ist ein eigenes Gefühl. Es kann mit dem Liebes-Gefühl des anderen korrelieren, muss aber nicht. Darüber nachgedacht, wird es immer schlimmer. Wir wollen Eindeutigkeit! Ein klares Ja! Ein klares Nein! Aber ist das Leben so?Gebrochenes, diesiges Licht kann so viel interessanter sein als klarer Sonnenschein. Fühlen wir hin und genießen. Oder lassen wir uns irritieren und abstoßen? Schwierige Beziehungen werden immer Gefühls-durchmixt sein: voller Zwiespalt und Zweifel.
Auf der Suche nach Eindeutigkeit
Mit der Zeit kann Eindeutigkeit entstehen. Eindeutigkeit kann sich gut anfühlen oder hart und schlecht. Tatsachen, Eindeutigkeiten, Absolutheiten – sie sind scharf, abgrenzbar, schmerzhaft, oft aber auch beruhigend. Oder belebend. Den Alltag verbringen wir oft in Uneindeutigkeiten und Gefühlsmixen. Einige Gefühle tun sich im Moment hervor. Oft ist die Grundstimmung konstant, wie das Blau das Meeres. Aber wie schrecklich wäre es, wenn das gesamte Meer nur die Farbe Blau mit dem eindeutigen Farbcode CadetBlue1 #98F5FF 152,245,255 hätte? Vielfalt hält am Leben. Monokulturen in der Natur sind anfällig für Krankheiten. Krampfhafte Eindeutigkeiten und das Kategorisieren von Menschen löst Unwohlsein aus – auch, wenn vordergründig „Sicherheit“ erlangt wird.
Wie entsteht bei all der Unsicherheit Geborgenheit?
Geborgenheit entsteht nicht unbedingt durch Eindeutigkeit, sondern durch Verstehen und Verstandenwerden. Und durch Hingucken-Wollen und Wahrhaben-Wollen. Gefühlen trauen wir dann so oft nicht, wenn wir an ihnen „herumdoktern“. Wenn wir andere Gefühle haben wollen, als wir sie fühlen. Und wenn dann die „wahre Liebe“ kommt, dann fühlen wir und sagen wir: „Ich liebe Dich.“ Und wir wissen, dass es andersherum auch so ist. Und das alles vorher nur ein Krampf aus „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ war.
Ein Pfarrer sagte einmal: „Am liebsten vermähle ich die Paare, die auf meine Frage, warum sie sich lieben, keine Antwort haben. Sie wissen es nicht. Sie fühlen sich einfach wohl. Das sind meiner Erfahrung nach die Beziehungen, die halten.“
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 9.7.2015
Aktualisiert am 3.9.2016