Viele Mütter kennen das: Ihr Kind erhält eine krankengymnastische Behandlung nach Vojta und schreit sich die Seele aus dem Leib (nach Meinung der Therapeuten aufgrund der „Anstrengung“). Man hört, dass die Therapie das Kind verzweifeln lässt. Das Baby schreit, der Erwachsene macht einfach weiter und niemand kommt ihm zu Hilfe. Nach den heutigen Erkenntnissen der Säuglings- und Bindungsforschung ist das ein Unding. Den Müttern klopft das Herz bis zum Hals. Am liebsten würden sie die Therapie abbrechen, doch sie stehen hilflos daneben. Mit „fachkundigen“ Argumenten wird den Müttern gesagt, dass diese Methode gut für’s Baby sei. Doch stimmt das? (Text: © Dunja Voos, Bild: © Birgit H, Pixelio)
Die Krankengymnastik nach Vaclav Vojta
Der tschechische Kinderneurologe Vaclav Vojta (1917-2000) ist der Begründer der nach ihm benannten physiotherapeutischen Methode. Dieser Neurologe hat zweifelsfrei viele neurologische Zusammenhänge herausgefunden und durch sein Wissen und seine Forschungsergebnisse vielen Menschen geholfen. Das Wissen in der Kinderheilkunde hat sich durch ihn erweitert.
Doch wenn die Vojta-Therapie Säuglingen verordnet wird, dann kommt das meiner Meinung nach einer Folter gleich. Verordnet wird die Behandlung bei frühkindlichen Bewegungs- und Koordinationsstörungen sowie bei Teillähmungen (Paresen), die durch Schädigungen des Gehirns verursacht werden. Der Therapeut bringt das Kind in eine Ausgangslage, in der es sich nur wenig bewegen kann und drückt dann bestimmte Triggerpunkte, um damit gewünschte Bewegungsabläufe anzubahnen (Reflexlokomotion). Das Kind wird somit zur Bewegung gezwungen, während es eingeklemmt ist.
Vojta-Therapie bei Babys – relativ weit verbreitet
Vojta-Kindertherapeuten gibt es viele. Auch in vielen kleinen Städten Deutschlands sind sie vertreten. In Großstädten wie Düsseldorf, München oder Hamburg sind es jeweils zwischen fünf und zehn. Diese Zahl habe ich über den Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten (ZVK) ermittelt. Der ZVK zählt 30.000 Mitglieder. Bei der Internationalen Vojta Gesellschaft e.V. (IVG) sind rund 4.000 ausgebildete Vojta-Therapeuten in Deutschland registriert – wieviele davon speziell als Vojta-Kindertherapeuten arbeiten, konnte ich nicht herausfinden.
Schmerz und Not
Gelegentlich habe ich eine Stunde Aufenthalt in einem Kinder-Therapiezentrum. Hier höre ich regelmäßig über 30-45 Minuten lang das Schreien von Babys und Kleinkindern, die nach Vojta behandelt werden. Die Schreie klingen nach Angst, nach Schmerz und innerer Not. Sie sind oft pausenlos. Oft denke ich nach ein paar Minuten, dass ich da eigentlich einschreiten müsste. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung. Eigentlich müsste ich dort anklopfen, die Tür öffnen und dem Kind zur Hilfe kommen.
Dieser Film von YouTube zeigt einen Ausschnitt aus einer Vojta-Therapie aus dem Ausland. Auch in Deutschland wird so behandelt, doch konnte ich hierzu keinen Film finden:
Folgen Sie Ihrem Gefühl
Die Mütter, die ihre Kinder in die Hände der Krankengymnastin geben, sind hin- und hergerissen. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass sie am liebsten sofort das Leid ihrer Kinder beenden möchten. Aber sie trauen sich nicht. „Vielleicht ist es ja eine gute Methode“, denken sie. Auf der Website des Zentralverbandes der Krankengymnasten (ZVK) steht zum Beispiel: „Die Therapie sollte so früh wie möglich beginnen. Denn bei Säuglingen ist das zentrale Nervensystem noch sehr formbar.“ So ein Satz klingt natürlich beeindruckend. „Der Arzt hat Vojta doch empfohlen“, kommt den Müttern in den Sinn. „Ich möchte mir später keine Vorwürfe machen. Ärzte und Therapeuten sind doch Experten – sie müssen doch wissen, was gut ist für mein Kind.“
Es wird mit dem Rollstuhl gedroht
Häufig kommen Therapeuten auch mit extremen Argumenten an: Das Kind würde später im Rollstuhl landen, doch Vojta könne dies verhindern, sagen sie. Doch wer will das sagen? Studien mit Kontrollgruppen, in denen Kinder ohne Vojta-Behandlung im Rollstuhl gelandet wären, gibt es nicht. In bestimmten Grenzen wissen Fachleute, was „gut“ ist für das Kind. Doch die wirkliche Expertin für Ihr Kind sind Sie, die Mutter. Haben Sie den Mut, andere Wege zu gehen (z.B. Bobath). Den begonnenen Weg zu beenden kann schwierig sein, weil Sie vielleicht unter Schuldgefühlen leiden – Sie wollen Ihrem Kind helfen. Sie haben vielleicht schon oft die Übungen durchgeführt und möchten jetzt umso mehr an dem Gedanken festhalten, dass die Therapie gut für Ihr Kind ist bzw. dass die Therapie anderen Methoden überlegen ist.
Zweifeln Sie Lehrmeinungen ruhig an
Hinterfragen Sie ruhig, was Kinderärzte und Therapeuten Ihnen sagen. Scheuen Sie sich nicht, den Kinderarzt zu wechseln und eine, zwei oder drei weitere Meinungen einzuholen. Zögern Sie auch nicht, den Krankengymnasten zu wechseln. Vojta ist eine sehr umstrittene Methode. Der seelische Schmerz, der dem Kind zugefügt wird, ist wahrscheinlich weitaus größer, als der körperliche Nutzen, den die Therapie bringt. Es muss auch anders gehen – z.B. mit der Therapie nach Bobath. Ihr Gefühl, dass Ihr Baby unter der Vojta-Therapie Qualen leidet, stimmt. Haben Sie den Mut, diese Therapie zu beenden und nach neuen Wegen zu suchen.
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Gall, Sarah:
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Jacobi, Gert; Riepert, Thomas; Kieslich, Matthias und Bohl, Jürgen (2001):
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Ludewig A, Mähler C:
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Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Georg-August-Universität Göttingen
Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr 1999 May-Jun; 48 (5): 326-339
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 28.2.2011
Aktualisiert am 30.4.2016