„Morgen sehen wir uns ja wieder“ – über die vierstündige Lehranalyse. Das Kernstück der Ausbildung zum Psychoanalytiker ist die Lehranalyse. Bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) legt man sich als Ausbildungsteilnehmer/-kandidat vier Mal pro Woche auf die Couch, wenn man die Ausbildung nach den Standards der DPV macht. Diese Hochfrequenz entspricht den Standards der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV), zu der die DPV gehört. Auch die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) ist der IPV angeschlossen. Auch hier kann man wählen zwischen einer Lehranalyse 3-mal pro Woche (DPG-Standards) und einer Lehranalyse, die 4-mal pro Woche stattfindet (IPV). (Text: © Dunja Voos, Bild: © Bernd Kasper, Pixelio)
3-mal pro Woche reicht für Zusatztitel „Psychoanalyse“
Wenn man auf den Anschluss an die Internationale Psychoanalytische Vereinigung verzichten möchte und man lediglich nach den Standards der Ärztekammer oder Psychotherapeutenkammer Psychoanalytiker werden möchte (= nach Psychothearpeutengesetz, PTG), reicht auch bei der DPV bzw. DPG eine dreistündige Psychoanalyse. Auch in anderen Instituten wird die Lehranalyse in der Regel 3-mal pro Woche durchgeführt. Die Dreistündigkeit reicht aus, um als Arzt den Zusatztitel „Psychoanalyse“ zu erwerben.
Wer eine dreistündige Lehranalyse bei der DPV macht, ist nach der Ausbildung jedoch kein „DPV-Psychoanalytiker“. Auch hier hat man nur den Zusatztitel „Psychoanalyse“ erlangt und kann affiliertes, aber kein vollwertiges Mitglied der DPV sein. Die Vierstündigkeit ist jedoch sehr umstritten – ist sie wirklich sinnvoll? Das wird wahrscheinlich jeder für sich selbst in der Lehranalyse herausfinden.
Ist die Vierstündigkeit zeitgemäß?
„Die Vierstündigkeit ist nicht mehr zeitgemäß – wer hat denn heute noch die Muße und das Geld, viermal pro Woche zur Lehranalyse zu gehen?“ Das Argument „Heutzutage“ sei ein Totschlag-Argument, sagte ein Kollege. Es ist erstaunlich, wieviel auf einmal denkbar wird, wenn man die Frage nach dem „Heutzutage“ weglässt. Auch heute noch brauchen die Menschen Beziehungen und auch heute noch ist es möglich, die Zeit für enge Beziehungen aufzubringen.
Wird eine vierstündige Psychoanalyse nicht langweilig?
Manchmal vielleicht schon. Doch auch die Langeweile lässt sich verstehen. In einer vierstündigen Lehranalyse ist es leichter, schwierige Themen aufzubringen, wenn man weiß: Morgen sehen wir uns ja wieder. Am Ende der Stunde muss man nicht immer auf den Punkt kommen und Spannungen lassen sich rascher wieder abbauen, wenn man sich am nächsten Tag wiedersieht.
Wer eine Psychoanalyse macht, weiß, wie quälend es sein kann, wenn man ein schwieriges Thema aufgebracht, noch keine Antwort gefunden hat und dann über das Wochenende auf die nächste Stunde warten muss. Die vierstündige Lehranalyse erinnert an einen Fluss: Veränderungen kommen weniger holperig daher und schwierige Situationen lassen sich leichter meistern. Veränderungen stellen sich ein und es ist nicht immer so leicht zu erfassen, was genau diese Veränderungen bewirkt hat. Das ist manchmal beängstigend, aber oft auch beruhigend.
„Psychoanalyse ist Partnerersatz“
Wer ohne Partner lebt, für den ist die Psychoanalyse wohl gleichzeitig eine Be- als auch eine Entlastung. Wenn es gut geht, fühlt man sich gehalten und weniger allein. Doch die Lehranalyse – oder die Psychoanalyse im Allgemeinen – ist eine spezielle Situation. Gemeinsam erforscht man das Unbewusste, lernt viele Probleme zu verstehen und bekommt eine Vorstellung davon, wie man Beziehungen befriedigend gestalten kann. Doch der Psychoanalytiker kann einen Partner nicht ersetzen.
Kein Ersatz
Manchmal werden Frauen Kindergärtnerinnen, weil sie keine eigenen Kinder bekommen können. Zu „ihren“ Kindern baut die Erzieherin eine wertvolle Beziehung auf, doch diese Beziehung kann die Beziehung zu einem eigenen Kind nicht ersetzen. Ähnlich ist es wohl mit der Psychoanalyse: Die Sehnsucht nach einer „echten“ Beziehung wird durch die Beziehung zum Therapeuten nicht geschmälert – im Gegenteil: Oft wird die Sehnsucht größer und die Suche nach dem Partner intensiver.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 4.10.2013
Aktualisiert am 19.6.2015