Quantcast
Channel:
Viewing all articles
Browse latest Browse all 641

„Analytiker schweigen doch nur“

$
0
0

schweigendes_lammDer Analytiker solle nichts sein als die Projektionsfläche des Patienten, hieß es früher in der Psychoanalyse. Immer wieder berichten Patienten davon, dass sie ihre Analyse abgebrochen oder schlechte Erfahrungen gemacht haben, weil der Analytiker zu viel schwieg. Andere haben Angst vor dem Beginn einer Analyse, weil sie Angst vor dem Schweigen haben. Heute sind die Psychoanalytiker jedoch sehr unterschiedlich in ihrem „Schweige-Verhalten“. Während einige Analytiker sehr viel schweigen, sprechen andere mehr. Vielleicht noch wichtiger als in anderen Therapieverfahren ist es in der Analyse, dass Therapeut und Patient zusammen passen. Daher ist es wichtig, zu schauen, wie man sich in den Probegesprächen beim Analytiker fühlt. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Schweigeverhalten

Wie sehr ein Analytiker schweigt, hängt von vielen Faktoren ab: von seiner Ausbildung, seiner Ausrichtung, seiner Persönlichkeit, seinen Erfahrungen, seinen Absichten, Vorstellungen und seinem persönlichen „Glauben“. Doch was braucht der Patient? Ist er sehr ängstlich oder geht es ihm schlecht, spricht der Analytiker unter Umständen mehr. Es gibt jedoch auch viele Situationen, in denen es dem Patienten schlecht geht und in denen es dennoch angebracht ist, dass der Analytiker schweigt. Die Patienten merken oft, dass ihnen dieses Schweigen gut tut. Tut es ihnen nicht gut, können einige es zur Sprache bringen, andere (noch) nicht. Das Schweigen kann immer wieder zum Thema werden, denn es kann zum Besipiel Verlassenheitsängste hervorrufen.

Allein lassen

Geht es dem Patienten wieder besser, lässt der Analytiker ihn häufig auch wieder mehr für sich alleine und sammelt sozusagen Material. Vielleicht lässt der Analytiker den Patienten dann auch wieder mehr für sich alleine. Natürlich ist den Analytikern bewusst, dass die Psychoanalyse für die Menschen, die einen Analytiker erstmals aufsuchen, Neuland ist. Das heißt, viele Analytiker achten gerade am Anfang darauf, die Patienten mit ihrem Schweigen nicht zu „erschlagen“. Zu viel Schweigen verschreckt viele Patienten.

Herantasten

Viele Menschen, die eine Psychoanalyse beginnen, litten unter abwesenden oder nicht-reagierenden Eltern. Schweigt der Analytiker, dann können alte Gefühle neu geweckt werden. Hieraus ergeben sich häufig sehr interessante Gespräche.

Sich auf die Couch zu legen und den Analytiker nicht mehr zu sehen, ist für viele eine kaum vorstellbare Situation. In der Regel beginnt man dann bei diesen Patienten mit einer Therapie im Sitzen und arbeitet daran, Vertrauen aufzubauen. Diese Phase kann sehr lange dauern. Es ist auch wichtig, sich wirklich den „richtigen“ Analytiker dafür auszusuchen, also wirklich jemanden, der einem sympathisch ist und mit dem man warm werden kann. Die Analyse kann natürlich auch „technisch“ durchgeführt werden, ohne, dass man sich allzu sympathisch ist, aber das ist dann oft unnötig schmerzhaft.

Erst sitzen, dann liegen

Wenn man zunächst zu zweit im Raum sitzt, fällt der Blick auch öfter auf die Couch. Wenn Analytiker und Patient dann eine Weile zusammengearbeitet haben (Wochen, Monate oder auch manchmal Jahre), wagt sich der Patient auf die Couch. Die Couch ist oft für Menschen gedacht, die sich schon sicherer und stabiler fühlen, denn sie lädt ja eben zur „Regression“ ein, also zu kindlichen Gefühlen. Erst wenn man selbst eine gewisse Stabilität erreicht hat, hat man auch Freude und Interesse an dieser Regression. Meistens ist es so, dass die Patienten im Laufe der Therapie im Sitzen immer häufiger auf die Couch schauen. Mit dem Vertrauen wächst auch oft der Wunsch, sich fallen zu lassen und das nachzuholen, was man nie erlebt hat: sich einem anderen Menschen auszuliefern und dabei in Sicherheit zu sein. Irgendwann werden Wunsch und Neugier größer als die Angst.

Ängste auf der Couch

Und dann, endlich auf der Couch, können natürlich ganz schreckliche Ängste hochkommen: Die Angst, der andere könnte einen überfallen, könnte einen plötzlich einquetschen, nicht mehr loslassen, nie mehr sprechen, einfach weg sein usw. Alles, was man als Kind erlebt hat, kommt auf eine Art wieder: das Gefühl, allein zu sein oder angegriffen zu werden. Aber man erlebt es dann wie auf zwei Schienen: Man spürt die Angst, aber auch noch eine stärkere Seite. Man merkt: Die Angst ist da und fühlt sich an wie früher, aber ich habe eine erwachsene, beobachtende Seite, die sagt: Der Analytiker wird mich nicht wirklich überfallen.

Ängste und Wünsche mischen sich

Irgendwann stellen besonders traumatisierte Patienten auch fest, dass die Angst, die sie haben, sich mit Wünschen vermischt. Wenn Patienten als Kinder zum Beispiel Erfahrungen mit Vojta-Krankengymnastik, Festhaltetherapien, Operationen und ähnlichem gemacht haben, werden trotz des Leids unter Umständen auch erotische Gefühle, Wünsche und Fantasien geweckt. Damit versucht die Psyche quasi, die Situation zu überstehen. Doch die schönen Gefühle in der perversen, quälenden Situation sind natürlich extrem verwirrend. Manchmal entstehen die Fantasien auch nicht in der schrecklichen Situation selbst, sondern in der Erinnerung, sozusagen in der Nachbearbeitung. Gesunde Wünsche werden dann sozusagen von Qual ummantelt. Mit der Zeit entdecken die Patienten die verschiedenen Gefühle in sich. Sie können vielleicht herausfinden, was Wunsch ist und was Angst oder sie merken, wie vermischt diese beiden Seiten sind, was wiederum zu Anspannung und Unbehagen führen kann.

In Ruhe gelassen

Wenn man den „richtigen Analytiker“ für sich gefunden hat, dann kann diese Arbeit viel Freude bereiten, weil man spürt, wie man endlich Klarheit gewinnt, auch, wenn die Analyse natürlich oft mit Leid verbunden ist. Aber dann hat man endlich einen „guten Zeugen“, der einen aus den engen inneren Räumen befreit. Das Schweigen empfinden viele Patienten mit der Zeit als Wohltat, weil es da endlich jemanden gibt, der nicht gleich reagieren oder gleich etwas totreden muss. Was man herausfindet, findet man in guter Begleitung selbst heraus. So entsteht auch das Gefühl, es – zusammen mit einem guten Anderen – alleine geschafft zu haben.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Psychoanalyse: Zwei Körper in einem Raum – ein Aphorismus
24 Wie wird man Psychoanalytiker? Schweigen lernen
Traumatisiert durch Psychoanalyse


Viewing all articles
Browse latest Browse all 641