“Bergsteiger am Hang erfroren. Der Schneesturm war unerbittlich.” Da ist ein Berg, der einfach nur da steht. Und doch kommen Menschen an ihm zu Tode. Wir vermenschlichen den Berg, halten ihn für unerbittlich und grausam. Und doch tut er nichts anderes, als da zu stehen. Manchmal gehen wir davon aus, dass uns etwas oder jemand etwas Böses will. Diese Einstellung ist oft so anstrengend … (Text & Bild: © Dunja Voos)
Komplexe Situationen
“Der Prüfer hat mich durchfallen lassen – er wollte nicht, dass ich diese Prüfung bestehe.” Ein komplizierte Aussage, denn es gibt viele komplexe Situationen im zwischenmenschlichen Bereich. Vielleicht war Antipathie im Spiel, vielleicht war der Prüfer ein kleiner Sadist. Vielleicht war er aber auch ein besorgter Mensch, der den Prüfling mit so viel Unsicherheit nicht ins Berufsleben entlassen wollte. Vielleicht hat der Prüfling ganz objektiv die Punktzahl nicht erreicht.
Wenn Kinder ihre Eltern verlassen
“Du denkst immer, ich will Dir was Böses”, sagt die Mutter zum Kind. Das Kind empfindet es so, wenn die Mutter ihm Hausarrest gibt, bis es die Hausaufgaben erledigt hat. Es empfindet es auch so, wenn es eine depressive Mutter hat, die es mit Schweigen bestraft. “Das kann doch nur eine böswillige Mutter sein”, meinen wir zu wissen. Ja, es fühlt sich so an. Es ist uns zum Schaden. Es bedrückt uns, es verletzt uns, macht uns das Leben schwer. Spricht man mit dieser Mutter in einer Psychotherapie, spürt man, dass ihre Verzweiflung genauso groß ist wie die ihres Kindes.
Unsicherheit
Ob der andere gewollt etwas “Böses” mit uns vorhatte, ob er uns wirklich schaden wollte, das wissen wir nicht unbedingt. Kinder verlassen als junge Erwachsene häufig ihre Eltern aus tiefen Gefühlen der Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit und Verletztheit heraus. Was da wie wo wann genau passiert ist, ist oft nur schwer zu erfassen. Fest steht: Das Kind hat das Gefühl, sich selbst zu schaden, wenn es bei dieser Mutter/bei diesem Vater bleibt. Ob die Eltern etwas “Böses” wollten, bleibt weiterhin unklar.
Unsere Einstellung macht uns das Leben schwer
“Meine Vorgesetzten wollen sicher nicht, dass ich da weiterkomme. Sie versperren mir den Weg.”, so das Erleben. Doch dieses Erleben erschwert die Kommunikation. Wir nähern uns dem anderen mit negativen inneren Vorzeichen, wenn wir glauben, er wolle uns schaden. Es kann hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass das ein Empfinden ist, das wir vielleicht aus Kindertagen mitgenommen haben. Vielleicht wollten uns unsere Eltern aus den verschiedensten Gründen unbewusst tatsächlich kleinhalten.
Verschiedene Sichtweisen helfen
Wir können uns das Leben erleichtern, indem wir in uns horchen. Wenn wir bemerken, dass wir dem anderen etwas “Böses” unterstellen, können wir uns fragen: Hat er/sie vielleicht einfach keine Zeit, weil er/sie ebenso überfordert ist wie wir? Schämt sich der andere, fühlt er sich schuldig, hat er Angst? Machen uns entgegenstehende Gesetze das Leben schwer, sodass es in bestimmten Situationen keine Klarheit geben kann? War die “böse Mutter” vielleicht depressiv? Leidet der andere vielleicht ständig unter der Angst, seine Autorität zu verlieren? Oder reagiert er nur so abwehrend, weil wir schon mit einer negativen Einstellung auf ihn zukommen?
Ablassen
Wenn wir glauben, der andere wolle uns etwas Böses, dann gehen wir einen Kampf mit ihm ein. Wir haben innerlich schon die Pistole gezückt, bevor der andere überhaupt die Chance hatte, uns gegenüber zu treten. Von dieser Abwehr-Haltung abzulassen ist – je nachdemn, was wir erlebt haben – unglaublich schwierig. Loslassen ist oftmals schwieriger als Festhalten. Kann sein, dass wir manchmal enttäuscht werden und uns sagen: “Hab’ ich’s doch gewusst!” Es kann aber ebenso oft passieren, dass wir denken: “Ich bin überrascht! Ich hätte nie gedacht, dass er/sie so besorgt ist, so nett, so bemüht. Ich hatte ein ganz falsches Bild.”
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