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Emotionale Erpressung – was tun?

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Palma_Rainer Sturm“Wenn du dem Kind kein Ritalin gibst, gehe ich zum Gericht und lasse dir das Sorgerecht entziehen” – ein typischer Satz, den vielleicht die ein oder andere alleinerziehende Mutter kennt. Bei getrennten Elternpaaren kann emotionale Erpressung immer wieder vorkommen. Aber auch bei Mutter und Kindergartenkind ist sie mitunter anzutreffen: Ein Junge tritt. Der Getretene sagt: “Au!” Die Mutter fragt: “Was hast du getan?” – Junge: “Hab’s vergesen.” – “Du sagst mir sofort, was du getan hast, sonst gehen wir rein.” – Junge: “Ich habe getreten.” – “So, dann fällt auch Fernsehen heute für dich flach.” (Text: © Dunja Voos, Bild: © Rainer Sturm, Pixelio)

Jede Erklärung führt in ein tieferes Loch

Emotionale Erpressung zeichnet sich oft dadurch aus, dass der oder die Erpresste glaubt, sie könnte das Loch, was sich da auftut, stopfen. “Wenn ich mir nur richtig Mühe gebe, wenn ich jetzt auch noch diesen Punkt erkläre, wenn ich mich hier wirklich ein letztes Mal kompromisshaft einlasse, dann ist alles gut.” Doch bald schon merkt der oder die Erpresste: Mit jeder Rechtfertigung, mit jeder Erklärung und jedem Entgegenkommen öffnet sich nur ein weiteres Tor in noch größere Not.

Opfer und Täter haben als Kinder oft Gewalt erlebt

Die amerikanische Psychologin Anne Bogat und ihre Kollegen von der Universität Michigan forschen zum Thema “Gewalt in der Partnerschaft” (Intimate Partner Violence, IPV). Dabei ist mit “Gewalt” auch die psychische Gewalt gemeint, also z.B. emotionale Erpressung und Drohung. Die Forscher haben herausgefunden, dass sowohl der Erpresser als auch die Erpresste häufig Gewalt in der Kindheit erlebt haben. Nicht jede Frau neigt dazu, eine Beziehung zu suchen, in der sie erpresst wird. Häufig sind es die “lieben” Frauen, die “artig” sein mussten und sich anpassten. Als Kinder wurden sie selbst emotional erpresst, ähnlich wie in dem Beispiel oben.

Was kann man tun?

Lösungen sind oft nur sehr schwer zu finden, weil die betroffenen Frauen meistens große Angst davor haben, ihre Kinder in irgendeiner Weise zu verlieren. Das Gefühl, dass wirklich etwas Schreckliches passiert, ist bei den Betroffenen so groß, dass sie soweit wie möglich auf die Drohungen und Forderungen des (Ex-)Partners eingehen. Sie machen sich dabei oft nicht klar, dass das, was der Partner fordert oder womit er droht, unrealistisch ist. In unserem Beispiel: Es ist ja nicht so einfach, der Mutter das Sorgerecht zu entziehen. Die Frau, die zur schnellen Reaktion neigt und den Partner möglichst schnell “befriedigen” will, lässt sich innerlich kaum Raum, um einmal die Realität zu überprüfen.

Die Lust am Opfersein

Manchmal macht sich dann auch so eine Art “Masochistischer Triumph” breit, nach dem Motto: Wenn er mich schon psychologisch ausziehen will, dann will ich wenigstens komplett nackt sein. Das “Opfer-Sein” wird dann zu einer Art “Täter-Sein” in der Art: “Mach doch, dann sehen die anderen wenigstens, wie böse du bist!” Die verstrickten Wege sind oft ähnlich und das Ergebnis ist oft dasselbe: Täter und Opfer fühlen sich irgendwie im Kampf verbunden. Loszulassen wirkt da paradoxerweise manchmal sehr schwer. Aber auch, wenn ein Partner beschlossen hat, aus der Verstrickung auszubrechen, kann es länger dauern, bis nicht immer wieder solch scheinbar aussichtslose Situationen entstehen. Zum Streit gehören nicht immer Zwei. Manchmal gibt es einfach auch einen Angreifer, der keine Ruhe lässt. Die Kunst besteht dann darin, das Karussell nicht länger am Laufen zu halten und sich nicht immer wieder anzupassen an die echten oder phantasierten Wünsche des anderen.

Was kann man tun?

Abstand, Abstand, immer wieder Abstand. Sich Raum schaffen. Wichtig ist es, zu prüfen, ob die Drohung realistisch ist und wenn ja, ob sie sofort umgesetzt werden kann. Rechtstreitereien zum Beispiel dauern oft jahrelang und haben oft kein Ergebnis, außer, dass die Kinder groß geworden sind. Also ist da viel Aufregung und letzten Endes tritt das Befürchtete nicht ein. Sich einen inneren Raum zu schaffen, kostet Kraft, lohnt sich aber. Nicht sofort reagieren, auch wenn der Drang dazu noch so groß ist. Ruhig anderen von der inneren Not erzählen, damit man nicht allein mit dem “Erpresser” ist.

Es wird nicht gut

Besonders gefangen sind viele Frauen in dem Gedanken: “Wenn ich mich nur genug anstrenge, wird es gut.” Es ist sehr schwer, einzusehen, dass das nicht stimmt. Man wird den anderen, der da erpresst, wahrscheinlich nie zufriedenstellen können. Die Hoffnung auf ein “Wiedergutwerden” zu begraben, ist für viele wohl das Schwierigste, aber auch ein großer Schritt in Richtung Freiheit. Denn damit ändert sich die innere Haltung. Man springt dann nicht mehr sofort auf jede Drohung an.

Raum schaffen, Abstand schaffen – innerlich wie äußerlich – ist oft die einzige Möglichkeit, den quälenden, verwirrenden, verrückten, erschreckenden, einschüchternden Forderungen des anderen auszuweichen. Die Zeit bringt es dann meistens mit sich, dass das, was früher einmal erschreckend und auswegslos erschien, nicht länger Grund zur Sorge oder Verzweiflung ist.

Manchmal schafft man diesen langen Weg nur mit dem Schutz und der Hilfe von außen. Eine Psychotherapie kann zum Beispiel auch dabei helfen, eigene Scham- und Schuldgefühle zu verstehen.

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Links:

G. Anne Bogat et al. (2013):
Assessment and Psychotherapy with Women Experiencing Intimate Partner Violence
Psychodynamic Psychiatry: Vol. 41, Intimate Partner Violence: pp. 189-217
doi: 10.1521/pdps.2013.41.2.189
http://guilfordjournals.com/doi/abs/10.1521/pdps.2013.41.2.189

Dunja Voos:
Häusliche Gewalt: Der will doch nur prügeln
DocCheck, 23.7.2013
http://news.doccheck.com/de/19327/schlag-mich-ich-liebe-dich-trotzdem/

www.re-empowerment.de – Frauen gegen Partnerschaftsgewalt

Dieser Beitrag entstand auf Anregung von Dr. Christine Finke:
Blog “Mama arbeitet”, Beitrag: “Wenn du mich liebst …”

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffenlticht am: 20.7.2013
Aktualisiert am 24.11.2015


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