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Borderline & Co.: Warum der Umgang mit traumatisierten Menschen so schwierig ist

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borderlineWenn wir Begriffe wie “Opfer” oder “Depression” hören, erregt das Mitleid in uns. Da ist das arme Kind, das geschlagen wird. Auf herzzerreißenden Plakaten werden Kinder als Opfer dargestellt. Wir sind wütend auf die Täter. “Immer kümmern sich alle nur um die Täter, aber die Opfer werden im Stich gelassen”, sagen viele. Sind diese Opfer erwachsen, sieht es anders mit unserer Zuneigung aus: Diese ehemaligen armen Kinder sind nun Menschen, die einen zutiefst verletzen, die ihre Kinder schlagen, die “Hartz IV” und “selbst schuld” sind, die selbst trinken und harsch Kontakte abbrechen. Warum ist das so? (Text & Bild: © Dunja Voos)

Der Stempel der Gewalt, die Spuren der Bindungslosigkeit

Menschen die Gewalt erfahren, die vernachlässigt und seelisch verletzt werden, sind geprägt von ihren Erfahrungen. Die Gewalt – verbal oder körperlich – prägt sich in ihnen ein wie ein Stempel. Kinder, die weitgehend ohne sichere Bindungen aufwachsen, sind selbst haltlos, sehnsüchtig, selten satt. Sie haben oft kein gutes Gespür für sich selbst und sind so mit ihren inneren Nöten beschäftigt, dass es ihnen oft auch an Einfühlungsvermögen für andere fehlt.

Altes wird immer wieder neu erlebt

Durch ihre Erlebnisse haben die Betroffenen eine Brille auf, die ihnen neue Erfahrungen immer wieder wie alte Erfahrungen erscheinen lässt. Sie fühlen sich dadurch immer wieder sehr leicht verletzt. Wer dann als Erwachsener die Diagnosen “Borderline, Narzisstische, Schizoide oder Perverse Charakterstörung” erhält, erscheint nicht mehr wie ein Opfer, das Mitleid und Hilfe verdient, sondern wie ein Mensch, den man nur allzu gerne meidet. Das ist das Tragische: Diejenigen, die am ehesten Zuneigung und Verständnis benötigen würden, strahlen etwas aus, das die anderen Menschen davon abhält, ihnen nahe sein zu wollen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Betroffenen selbst die Nähe der anderen zu sehr fürchten.

Jeder Mensch ist betroffen

Jeder Mensch hat seine eigenen Traumata erlebt. Jeder trägt Unbearbeitetes in sich. Man wird dann komisch, wenn man etwas erlebt, was an Verletzendes aus der Vergangenheit erinnert. Es ist immer eine Frage der Quantität. Auch der Gesündeste trägt seine unreifen Oasen, seine Störungen in sich. Doch schwer Traumatisierte haben so viel davon, dass ihnen ein zufriedenes Leben zusammen mit anderen oft enorm erschwert wird. Die Mitmenschen reagieren dann oft aggressiv, indem sie aggressiv pathologisieren oder mit aller Macht “helfen” wollen, was bereits beim “Anti-Aggressionstraining” anfängt (mir sträuben sich schon bei dem Begriff die Haare). Doch wenn wir besser vestehen, was durch Armut an Bindung und Fülle von Verletzungen mit der Psyche passiert, dann geht es allen Beteiligten besser: den Opfern, den Tätern, den Partnern und Familien.

Die Psychoanalytikerin Christa Rohde- Dachser schreibt es in dem Buch “Borderline-Störung und Psychose” so:
“Das heißt, dass das Kind, real Opfer der traumatisierenden Beziehung, unbewusst immer auch den Täter als Introjekt in sich aufgenommen hat. Die wohl schwierigste Aufgabe der Borderline-Therapie ist es dann, den Patienten in die Lage zu versetzen, auch dieses Täter-Introjekt als Teil von sich selbst zu akzeptieren.”

Stavros Mentzos/Alois Münch (Hg.):
Borderline-Störung und Psychose
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 32

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