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Langeweile in der Psychoanalyse – Psychoanalyse der Langeweile (Lesetipp)

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langeweile_psychoanalyseEine Psychoanalyse dauert oft mehrere Jahre. Patient und Analytiker sehen sich dabei fast täglich. Kein Wunder, wenn da manchmal Langeweile auftaucht. Sehr verwunderlich ist es da jedoch, dass es so wenige psychoanalytische Texte zu diesem Phänomen gibt. Der Bonner Psychoanalytiker Rudolf Bensch (DPV) hat 1999 einen sehr kurzweiligen Text zur „Psychoanalyse der Langeweile“ geschrieben. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Erstarrt

„Langeweile entsteht, wenn es erstens zu keinem Austausch zwischen zwei Subjekten (Anm.: Menschen) kommt, in welchem sie einander wechselweise verlebendigen, und wenn zweitens die in ihrer Interaktion gleichsam erstarrten und abgestorbenen Subjekte dennoch aneinander ‚kleben‘ bleiben – letztlich, weil ein Verlust nicht zugegeben werden kann, sondern verleugnet wird.“ (Bensch 1999, S. 161)

Angespannt gefangen

Obwohl die Langeweile ein Gefühl der Spannung ist, tut man nichts dagegen. Es ist sehr schwer, dort wieder herauszufinden. „In der Regel wird Langweile abgelehnt“, schreibt Bensch. „Selten erfährt der Sich-Langweilende Anteilnahme wie der Traurige, der Depressive oder der Ängstliche. Die Langeweile wird als selbstverschuldet angesehen“, erklärt er. Dass es oft ganz und gar nichts mit „selbstverschuldet“ zu tun hat, beschreibt der Psychoanalytiker in einem Beispiel von einer Psychoanalyse mit einer jungen Frau, in der ihn immer wieder tiefste Langeweile quälte. In diesem Fall lag die Ursache unter anderem darin, dass die Patientin sich nach dem Tod ihres Vaters weigerte, „wirklich“ zu leben. Sie hatte sich mit der emotional toten Mutter identifiziert, sodass die Beziehung zur Patientin nur oberflächlich werden konnte. Auch betete die Patientin immer zu ihrem verstorbenen Vater. (Anm.: Auch das könnte ein Grund sein, warum der Analytiker als Vaterfigur die Stelle eines Toten einnahm, der nicht wiederbelebt werden konnte.)

Kompliziertes Wechselspiel

Langeweile in der Beziehung ist oft ein kompliziertes Wechselspiel. Mit Langweilern mag man nichts zu tun haben. „Ebenso ist die Kennzeichnung eines anderen als ‚langweilig‘ wohl eine der schärfsten Verurteilungen“, schreibt Bensch. Der Sich-Langweilende wird entwertet. „Dies ist lieblos, denn wer sich langweilt, ist in einem hilflosen und hohnmächtigen Zustand“, so Bensch.

Otto Fenichel über die Langeweile

Rudolf Bensch weist auf die Arbeit „Psychologie der Langeweile“ von Otto Fenichel aus dem Jahr 1934 hin. Hierin beschreibt Fenichel die Langeweile als ein „unlustvolles Erleben von Impulslosigkeit.“ Bensch betont, dass dies nicht ein Zustand von „Spannungslosigkeit“ sei. Die Spannung „verlange“ nach neuen Anregungen von der Außenwelt, damit sie abgebaut werden kann. Trotz wachsender Anspannung komme es nicht zu Impulshandlungen, sodass die Langeweile nicht in das Freudsche Triebmodell passe. Der Sich-Langweilende verharre stattdessen in einem Zustand der Impulslosigkeit.

Das lahmgelegte Ich

Bensch erklärt: Ähnlich wie das Ich nach Freuds zweiter Angsttheorie zur Angststätte werden könne, so könne seiner Überlegung nach das Ich auch zur Stätte der Langeweile werden. Bei der Langeweile sei das Ich möglicherweise noch nicht genügend entwickelt, weswegen Kinder zum Beispiel auf langen Autofahrten Langeweile verspürten. Auch könne das Ich lahmgelegt sein, z.B. „wenn es keine Eigenaktivität entfalten kann“. Wer mit sich selbst nichts anfangen könne, der könne auch mit der Welt nichts anfangen. Der Sich-Langweilende sei ziellos und unfähig zur Eigeninitiative.

Langeweile in der Psychoanalyse

Bensch geht auch auf den Psychoanalytiker Ralph Greenson ein. Ihm zufolge würden Patienten oder Analytiker, die sich in der Analyse langweilten, vermeiden, dass bestimmte Phantasien bewusst werden.

Sich losreißen

Doch wie kann man sich aus der Langeweile befreien? Rudolf Bensch zitiert auf S. 161 den Schriftsteller Rüdiger Safranski, der eine Biografie über den Philosophen Martin Heidegger schrieb: „‚Man muss sich losreißen … muss … sich selbst auf den Weg machen‘, indem man sich ‚zu sich selbst entschließt‘.“

Verwandte Artikel in diesem Blog:

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Buchtipp: Der Schlaf des Analytikers

Links:

Bensch, Rudolf (1999):
Psychoanalyse der Langeweile
Jahrbuch der Psychoanalyse (1999)
Band 41, 135-163
Verlag frommann-holzboog
Der Text kann für 6,40 € beim Psychosozial-Verlag bestellt werden

Fenichel, Otto (1934):
Zur Psychologie der Langeweile.
Imago, 1934, Bd. XX: 270-281
https://archive.org/stream/Imago-ZeitschriftFrAnwendungDerPsychoanalyseAufDieNatur-Und_463/Imago_1934_XX_Heft_3#page/n13/mode/2up
http://www.pep-web.org/document.php?id=ijp.016.0365a

Greenson, Ralph R. (1953):
On Boredom.
J. Am. Psychoanal. Ass. 1: 7-21

Greenson, Ralph R. (1967):
Technik und Praxis der Psychoanalyse.
Klett-Verlag, 1973
Klett-Cotta, 9. Auflage 2007

Heidegger, Martin (1929/30):
Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt, Endlichkeit, Einsamkeit
Interessantes auf der Website der Hochschule für Gestaltung (HfG), Karlsruhe
amazon

Safranski, Rüdiger (1994):
Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit
Carl Hanser Literaturverlage

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 23.12.2014
Aktualisiert am 13.11.2015


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