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„Ihr könnt doch zusammenspielen!“

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Zwei Kleinkinder streiten sich um die rote Schaufel. Die Tränen fließen, das Geschrei ist groß. Ganz verzweifelt sagt die Mutter: „Aber ihr könnt doch zusammenspielen!“ Immer wieder ist die Mutter verzweifelt, weil sie die Vorstellung hat, dass die Kleinkinder doch teilen und sich abwechseln könnten. Aber damit macht die Mutter sich unnötigen Stress, denn die Kinder sind mit zwei und drei Jahren oft noch zu klein. Sie können tatsächlich noch nicht zusammenspielen. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Piet Schimana)

„Kinder brauchen Kinder“

Das Argument, (Klein-)Kinder bräuchten andere (Klein-)Kinder, um sich zu sozialisieren, ist weit verbreitet. Dabei kommen Kleinkinder ganz wunderbar ohne andere Kleinkinder aus (siehe Gordon Neufeld). Es ist sogar eher so, dass sich die Kleinkinder gegenseitig stressen. Für kurze Phasen am Tag können sie sich gegenseitig anregen. Doch Kleinkinder kommen in der Regel besser mit älteren Kindern klar. Sie werden „sozialisiert“ durch ältere Kinder und Eltern, die schon eine Landkarte in ihrem Seelenleben haben. Kleinkinder orientieren sich an den Erwachsenen oder an älteren Kindern, die ihnen zeigen, wie das Leben geht. Andere Kleinkinder stehen genauso hilflos vor dem Leben wie das eine Kleinkind selbst.

Kleinkinder sind noch viel zu sehr mit dem Festhalten beschäftigt. Gegenstände loslassen und teilen können sie erst später. Für sie sind Gegenstände, die sie in der Hand halten, Teil ihrer selbst. Es ist für sie ein furchtbarer Schmerz, wenn man sie ihnen entreißt.

Im Zusammensein das Alleinsein genießen

Der Kinder-Psychoanalytiker Donald Winnicott sagte, dass es eine gesunde Erfahrung für Kinder ist, gemeinsam allein sein zu können: Die Mutter backt in der Küche, ihr Kind spielt friedlich auf dem Boden. Jeder macht etwas Eigenes und doch fühlen sich die beiden miteinander verbunden. Dieses friedliche Zusammensein genießen Kinder auch mit anderen Kindern: Jeder spielt etwas Eigenes und doch freuen sich die Kinder, dass sie gemeinsam an einem Ort spielen. Solche Erfahrungen sind immens wichtig.

Entspannung durch Wissen

Mütter, die wissen, dass Kleinkinder tatsächlich noch nicht zusammenspielen können, sind entspannter. Das Zusammenspielen kommt in der Entwicklung erst später. Es ist ähnlich wie mit Spielen, bei denen sich Kinder in andere Menschen hineinversetzen müssen, um das Spiel spielen zu können (z.B. bei dem Spiel „Wer bin ich?“). Bis zum Alter von etwa vier Jahren können Kinder nicht ausreichend gut aus der Sicht des anderen denken, daher können sie dieses Spiel auch nicht spielen – auch nicht, wenn man es mit ihnen übt.

Hierzu gibt es ein Experiment:

Man zeigt dem Kind eine Bonbondose. Beim Öffnen der Dose sieht das Kind: Diese Dose ist mit kleinen Buntstiften gefüllt. Dann stellt man dem Kind eine Frage: „Gleich kommt der Tim rein. Du zeigst ihm die Bonbondose. Was meinst Du, was der Tim denkt: Was ist in der Bonbondose drin?“ – „Buntstifte“, wird das Kind von drei oder vier Jahren sagen. Erst ab einem Alter von fünf Jahren wird es antworten: „Tim wird denken, da sind Bonbons drin.“ Da braucht man auch nichts üben – dieser Schritt ist abhängig von der Hirnreife.

Es hat nichts mit Egoismus oder Besitzanspruch zu tun, wenn das Kind noch nicht mit anderen so zusammenspielen kann, wie wir Erwachsene das erwarten. Das kleine Kind denkt: Das, was es selbst weiß und sieht, ist die Realität und es denkt, für andere sieht die Welt genauso aus. In der Fachsprache heißt es: die Kinder leben noch im Modus der psychischen Äquivalenz.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 28.2.2015
Aktualisiert am 9.11.2015

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