Wenn Sie diesen Beitrag lesen, dann kennen Sie das vielleicht: Sie haben eine Angstattacke und fühlen sich fürchterlich schwach. Sie zittern und wenn Sie jemand fragt: “Was hast Du?” können Sie eigentlich gar nicht antworten. Sie fühlen sich “irgendwie komisch” und völlig alleingelassen. Im Gegensatz zur Furcht, die auf etwas bestimmtes gerichtet ist und sich konkret anfühlt, ist die Angst eher vage und schwammig.
(Text & Bild: © Dunja Voos)
Angst engt ein
Nicht umsonst hängen die Worte “Angst” und “Enge” zusammen: Während einer Angstattacke kann man kaum noch atmen und würde am liebsten einfach wegrennen. Dabei fühlt man sich richtig schwach. Manchmal steckt hinter der Angstattacke eine unbewusste Wut. Doch wenn die Wut nicht gespürt werden kann, fühlt man nur eine unbestimmte Bedrohung. In einer psychotherapeutischen Sitzung würde man nun versuchen, das Gefühl zu entdecken, das hinter der Angst steckt. Das können Wut, Neid, Eifersucht, Schuldgefühle oder – scheinbar paradoxerweise – auch Freude sein.
Ohne Worte
Wer den Grund seiner Angst nicht kennt und fast ständig von ihr begleitet wird, der leidet unter einer sogenannten “frei flottierenden” oder “generalisierten Angst”. Dabei fühlt man sich total ausgeliefert, denn die Angst kommt plötzlich und scheinbar grundlos. Die frei flottierende Angst ist meistens ein Teil von verschiedenen psychischen Problemen. Beispielsweise ist die Borderline-Störung mit starken Ängsten verbunden. Aber auch Depressionen oder Zwänge können sich mit der Angst abwechseln.
Harte Selbstgespräche
Während einer Angstattacke versuchen sich die Betroffenen, irgendwie zu beruhigen. Sie sagen sich: “Reiß Dich zusammen”, oder: “Es besteht doch gar kein Grund, jetzt Angst zu haben.” Doch im Moment der Angst scheint nichts zu helfen. Manchmal muss man die Angstattacke abwarten wie eine Regenschauer. Manchmal hilft ein Tee oder eine heiße Dusche.
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Die eigene Angst verstehen
Psychosozial-Verlag, 2015
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Phobie
Menschen mit einer sogenannten Phobie haben sehr starke Angst vor bestimmten Dingen: vor Schlangen, Mäusen, engen Räumen, weiten Plätzen oder großen Höhen. Andere leiden an einer sogenannten Sozialphobie und trauen sich kaum noch aus dem Haus. Die Fahrt mit der Straßenbahn wird ebenso unmöglich wie das Reden vor einer Gruppe.
Behandlungsmöglichkeiten
Auch wenn es sich für Betroffene nicht so anfühlt: Ein angstfreieres Leben ist möglich. Meistens wird bei der Angststörung eine Verhaltenstherapie empfohlen. Für viele ist sie ein guter Weg, um wieder lebensfähig zu werden. Besonders bekannt für die Verhaltenstherapie bei Angststörungen ist die Christoph-Dornier-Klinik in Münster.
Mindestens genauso geeiget ist jedoch die psychoanalytische Therapie. Durch die lange, vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten, fühlt man sich mit der Zeit immer sicherer. Man lernt, sich selbst besser zu verstehen. Was vielen Betroffenen in der Therapie gut tut, ist die Beziehung zu einem Therapeuten, der abgegrenzt und gleichzeitig wohlwollend ist. Dieses Wohlgefühl in der Beziehung kann sich immer breiter machen und auf andere Lebensbereiche ausdehnen. Irgendwann wird das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit sozusagen zur Gewohnheit.
Ein langer, aber lohnenswerter Weg
Die psychoanalytische Therapie ist ein langer Weg. Das passt nicht zu der Ansicht in der Medizin, alles müsse schnell gehen und mit Strategie funktionieren. Doch glücklicherweise wird die psychoanalytische Therapie in Deutschland von den Krankenkassen gezahlt. Und das ist gut so.
Die psychoanalytische Therapie dauert deshalb so lange, weil sich Gefühle nur langsam verändern lassen. Man muss erst genügend neue Erfahrungen machen, bevor sich Einstellungen und Gefühle ändern können. Manche Patienten leiden zum Beispiel an einer Angststörung, weil sie nie die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, eine gesunde Beziehung zu einem anderen Menschen zu haben. Ein Kind macht normalerweise viele hundert Male die Erfahrung, wie es ist, von der Mutter beruhigt zu werden. Mit der Zeit verinnerlicht das Kind dieses Zusammenspiel, so dass es sich schließlich selbst beruhigen kann. Wenn man aber eine besonders gestresste Mutter hatte, konnte man diese Erfahrung nicht häufig genug machen. Als Erwachsener hat man dann ein “wackeliges” Lebensgefühl, das nur langsam zu einem “sicheren Gefühl” werden kann. Dazu sind viele, viele beruhigende Beziehungserfahrungen notwendig.
Traurige, aber angstlösende Einsichten
Die Therapie ist oft mit vielen schmerzhaften Einsichten verbunden: Vielleicht war die Kindheit doch nicht so schön, wie man dachte, vielleicht hätte ein anderer Beruf besser gepasst, vielleicht macht man sich in seiner Partnerschaft schon lange etwas vor. Der Therapeut ist da und kann trösten. So kann man Wahrheiten annehmen, die man vorher nicht sehen wollte. Es kommen vielleicht Trauer und Enttäuschung. Aber die Angst geht. Durch die Therapie erweitert sich die Gefühlspalette, so dass die Angst schließlich nur noch ein kleiner Teil davon ist.
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Tipps gegen Panikattacken
Therapeutenadressen
www.dgpt.de – Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
www.dpv-psa.de – Deutsche Psychoanalytische Vereinigung
www.psychotherapiesuche.de
Links und Lesetipps:
Deutsche Angstselbsthilfe (DASH), www.panik-attacken.de und www.angstselbsthilfe.de/
Angst- und Panikhilfe Schweiz (APhS), www.aphs.ch
Falk Leichsenring; Simone Salzer; Ulrich Jaeger; Horst Kächele; Reinhard Kreische; Frank Leweke; Ulrich Rüger; Christel Winkelbach; Eric Leibing (2009):
Short-Term Psychodynamic Psychotherapy and Cognitive-Behavioral Therapy in Generalized Anxiety Disorder:
A Randomized, Controlled Trial
Am J Psychiatry 2009;166:875-881. doi: 10.1176/appi.ajp.2009.09030441
The American Journal of Psychiatry, VOL. 166, No. 8
http://www.dsm.psychiatryonline.org/article.aspx?articleID=101023&atab=7
Hans Hopf:
Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen
Diagnose, Indikation, Behandlung.
Brandes&Apsel, Frankfurt am Main 2011, 29,90 €
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Ines Kunz:
Anststörungen:
Häufigkeit, Symptomschwere, biographische und aktuelle Risikofaktoren sowie Persönlichkeitsprofile unter besonderer Berücksichtigung von hysterischen und Borderline-Strukturen. Dissertation, Universität Mannheim 2006
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/volltexte/2006/6308/index.html
Panikstörungen erhöhen das Risiko für einen Herzinfarkt:
Kate Walters et al.:
Panic disorder and risk of new onset coronary heart disease, acute myocardial infarction, and cardiac mortality.
European Heart Journal, October 2008, http://eurheartj.oxfordjournals.org/cgi/content/full/ehn477v1
Jordan Smoller et al.:
Panic Attacks and Risk of Incident Cardiovascular Events Among Postmenopausal Women.
Archives of General Psychiatry 2007, http://archpsyc.ama-assn.org/cgi/content/abstract/64/10/1153
Ripke, Annekatrin Asja:
Experimentelle Studie zur Thrombozytenaktivierung durch psychisch induzierten Stress bei Patienten mit vermehrten Ängsten.
Dissertation, Universität zu Lübeck, 2007, http://d-nb.info/985490985/about/html
Diagnoseschlüssel ICD 10: Angststörungen des Erwachsenenalters
Agoraphobie F40.0
Soziale Phobie F40.1
Panikstörung F41.0
Generalisierte Angststörung F41.1
Angst und depressive Störung gemischt F41.2Emotionale Störungen des Kindesalters nach ICD 10
F 93.0 Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters
F 93.1 Phobische Störung des Kindesalters
F 93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit des KindesaltersDSM-IV-Codes der Angststörungen:
300.02 Generalized Anxiety Disorder
300.01 Panic Disorder without Agoraphobia
300.21 Panic Disorder with Agoraphobia
300.23 Social Phobia
Leitlinie Angststörungen (F41, F93.0): www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-022.html
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht 2007
Aktualisiert am 1.6.2015