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Das Eigenleben der Seele

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eigenlebenIch liege im Gras. Mein Körper ist 36,4 Grad warm. Irgendwo da oben im verlängerten Rückenmark wird meine Temperatur für mich reguliert. Das Atmen geht von selbst – zum Glück. Manchmal zum Zwang. Millionen Darm-Bakterien sorgen für’s Gleichgewicht. Kommt ein Virus, macht der Körper, was er will. Ich höre meinen Puls. (Text & Bild: © Dunja Voos)


Freiheit

Es ist schön, dass ich mich nicht um alles kümmern muss. Ich kann mit meinen Gedanken spazieren gehen und der Körper lebt von selbst. Auch die Seele lebt. Vieles kann ich steuern. Doch nachts, da träume ich. Wenn ich einen Alptraum habe, kann ich nichts dagegen tun – außer zu warten, bis ich aufwache. Ich kann schreien und mich damit selbst wach machen. Man kann weglaufen vor dem Monster unter dem Bett. Doch keine Erklärung der Welt lässt es verschwinden. Gefühlt ist es da.

Meine Seele macht sich selbstständig. Psychotische Bilder drängen sich im Traum auf, egal wie intelligent, kontrolliert, seriös man sonst ist. Auch am Tag träume ich. Ich weiß, dass der Zahnarzt kein böser Mensch ist. Und doch erlebe ich das Abendbrot vor meinem Termin wie eine Henkersmahlzeit.

Muss ich? Muss ich nicht?

Ich weiß, dass ich diese Rede nicht halten muss – und doch fühlt es sich an, als sei ich eine Stunde lang gefangen. Scham kann mich fesseln wie ein Spinnennetz ihr Opfer. Und auch der beste Mensch auf Erden erscheint mir böse, wenn ich in der Zwickmühle bin.

Der Glaube versetzt Berge?

Man könne sich umstrukturieren, heißt es. Man könne „es“ verstehen, „es“ in Worte fassen. Wo „Es“ war, soll „Ich“ werden. Wieviele „Esse“ es wohl gibt? Man könne doch positiv denken und überhaupt mit der modernen Psychotherapie so viel erreichen.

Die Psychoanalyse ist besonders intensiv. Sie vermag es, auf Dauer indirekt oder direkt Alpträume verschwinden zu lassen. Neues Erleben wird möglich. Die Psychoanalyse vermag es, die Beziehungen, ja das ganze Leben zum Positiven zu verändern.

Raum ohne Worte

Und dann stehe ich wieder in dem Raum ohne Worte. In dem Raum, in dem man das Licht anknipsen will, aber es geht nicht. 1000-mal gefühlt. Man kennt „es“. Man weiß, was passiert: Ich werde so, wie andere mich nicht haben wollen. Wie ich es selbst nicht will. Ich schade mir. Ich schade den anderen. Obwohl ich es besser weiß. Es ist wieder da. Er ist wieder da. Dieser Alptraum am Tag.

Wieder da, wieder weg

Die Psyche ist so selbstständig wie der Neurodermitisfleck auf meiner Haut. Man kann fasten, man kann beten, manchmal ist er weg. Und doch kommt er wieder, wenn das Leben alte Gefühle wachruft. Dann kann man nur Cortison geben. Oder erneut fasten. Oder einfach abwarten. Und demütig sein.

Das Eigenleben von Körper und Psyche ist wie die Wolken: Sie ziehen vorbei, sie stapeln sich, sie malen hübsche Bilder in den Himmel. Und niemand kann vorhersagen, wie sie sich verhalten werden. In mir tobt der Mob. Wie sollte ich mich da über das Chaos in der Welt noch wundern? Wie sollte ich da die Welt da draußen noch verurteilen?

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