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Zahnschmerzen ohne Grund

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ente_Uschi_DreiuckerEr ist schon krass, dieser Unterschied zwischen diesen Hochglanz-Websites der Zahnärzte, die „wirksame Therapien“ versprechen und den Berichten von Patienten, die jahrelang unter unklaren Zahnschmerzen leiden. „Zahnschmerzen ohne Grund“ sind ein sehr häufiges Problem. Oft beginnt es mit einem Ziehen, das im Liegen und nachts schlimmer wird. Gleichzeitig kann es zu Ohrenschmerzen kommen, die sich anfühlen, als sei es eine Mittelohrentzündung. Manche haben das Gefühl, es sei Flüssigkeit im Ohr. Auch die Schläfe kann schmerzen, ebenso der Hals und der obere Brustbereich. Man traut sich kaum noch zum Zahnarzt – glaubt, alle anderen im Wartezimmer hätten etwas Handfestes, doch es gibt viele Patienten, denen der Zahnarzt zunächst nicht helfen kann. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Uschi Dreiucker, Pixelio)

Aufbiss-Schiene aus Ratlosigkeit

Manche Patienten haben einen roten Kranz um einen Backenzahn oder eine kleine Zahnfüllung, die aber anscheinend in Ordnung ist. Die Zahnärzte machen immer dasselbe: Sie klopfen, prüfen mit Kälte und fertigen ein Röntgenbild an, aber darauf ist nichts zu sehen. Sie verordnen eine Aufbiss-Schiene und erzählen etwas von verkrampften Muskeln, von Orofazialem Syndrom (OFS, Os = Mund, Fazial = zum Gesicht gehörig), Kraniomandibulärer Dysfunktion (CMD, Kranio = Kopf, Mandibula = Unterkiefer), Trigeminusneuralgie oder Nasennebenhöhlenentzündung. Lassen die Betroffenen ein MRT (Magnetresonanztomogramm) machen, so wird manchmal eine Nasennebenhöhlenentzündung sichtbar.

Schmerz kommt plötzlich

Oft kommt der Schmerz ruckartig, kann aber genauso plötzlich wieder aufhören. Die betroffene Seite fühlt sich schwer und belastet an. Manche Patienten sagen, der Schmerz treibe sie fast in den Wahnsinn. Auch das Mittel Carbamazepin, das bei der Trigeminusneuralgie verschrieben wird, ist für viele nicht hilfreich. Manche haben alles ausprobiert und sind schier verzweifelt. Erfahrungsberichte auf dem Forum der Website Netdoktor sind 20 Unterseiten lang: http://board.netdoktor.de/Zaehne/Schmerzen-am-Zahn-Kiefer-und-Ohrenbereich-146181.html

Manchmal ähnlicher Schmerz wie bei Aphten

Auffallend ist, dass die Schmerzbeschreibungen der Betroffenen oft denen ähneln, die Patienten mit Aphten beschreiben. Auch hier sind die Ursachen unklar. Anscheinend spielen aber das Immunsystem, die Neuropsychoimmunologie sowie der Hormonhaushalt eine Rolle. Der Schmerz kann bei Frauen mit der Pubertät, dem Menstruationszyklus, der Schwangerschaft oder den Wechseljahren zusammenhängen, aber auch Ähnlichkeiten mit Allergien haben. Ähnlich, wie Patienten mit Allergien (Heuschnupfen) manchmal Heißhunger haben und nach dem Essen Erleichterung verspüren, geht es auch Patienten mit unklaren Zahnschmerzen nach dem Essen manchmal besser. Hinzu kommt bei unklaren Zahnschmerzen oft ein allgemeines Krankheitsgefühl, ebenso wie bei den Aphten.

Serotonin, Hormone und Cortison

Manchmal kann Schokolade den Schmerz etwas lindern. Schokolade dämpft. Das zeigt, dass der Schmerz möglicherweise auch mit dem Serotoninhaushalt zusammenhängt – manche Patienten spüren Erleichterung durch Antidepressiva wie z.B. durch den klassischen Wirkstoff Amitripytlin. Anderen Patienten helfen Antirheumatika, die das Immunsystem dämpfen. Gelegentlich hilft auch die lokale Behandlung mit einer Cortisoncreme (z.B. Prednisolon, enthalten in der Mundheilpaste Dontisolon® von Sanofi-Aventis).

Bindegewebsforschung

Die Bindegewebsforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Sie wird vielleicht zukünftig vieles erklären können, was die Schulmedizin heute noch nicht erklären kann – möglicherweise ist sie auch das Bindeglied zur Akupunktur. Das orale Bindegewebe (oral = auf den Mund bezogen) und die muskuloskelettale orale Biologie wird zum Beispiel von der Zahnklinik der Universität Köln erforscht. Möglicherweise kann die Bindegewebsforschung auch auf unklare Erkrankungen wie das Fibromyalgiesyndrom geben. Mit chronischen Schmerzen und dem Bindegewebe beschäftigt sich auch Dr. Helga Pohl, Gründerin des Körpertherapiezentrums in Starnberg.

Die Cortisol-Uhr

Häufig verschlimmert sich der Schmerz nachts. Ähnlich wie bei unklaren Rückenschmerzen wachen manche Patienten gegen 3 Uhr morgens auf und fühlen dann den Schmerz am stärksten. Gegen 0 Uhr ist der körpereigene Cortisolspiegel am niedrigsten. Cortisol wirkt entzündungshemmend – seine Wirkung tritt immer etwas verzögert ein. Daher sind entzündungsbedingte Schmerzen oft dann groß, kurz nachdem der Cortisolspiegel seinen Tiefpunkt erreicht hat. Der natürliche Cortisolverlauf sieht ungefähr so aus:
 
cortisol


Entzündung lindern

Therme, Bad Saarow, C. Falk, Pixelio

Therme, Bad Saarow, C. Falk, Pixelio

Alles, was Entzündungen herunterreguliert, kann die Schmerzen lindern. Viel Schlaf gehört dazu. Wer nachts schlecht schlafen kann und die Zeit findet, kann vielleicht mittags etwas Schlaf nachholen. Manchen Menschen mit entzündlichen Erkrankungen wie z.B. Rheuma hilft auch das Fasten – es lindert Studien zufolge Entzündungen. Ein Therapieversuch in einer Fastenklinik könnte sich lohnen. Andererseits sagen manche chinesische Mediziner, dass das Fasten nicht gut sei, denn es schwäche die Nieren und die Lebensenergie.
Leicht kann man sich auch einen entzündungshemmenden Tee zubereiten, indem man z.B. Nelkengewürz und/oder Ingwer in eine Tasse gibt und mit heißem Wasser aufgießt.

Bewegung

Auch Bewegung kann den Schmerz lindern. Manche Patienten sind mit der kraniosakralen Therapie (Kranio = Kopf, Sakrum = Kreuzbein) oder mit Yoga zufrieden. Dabei braucht man jedoch viel Geduld.

Feline odontoklastische resorptive Läsion (FORL)

Auf Wikipedia gibt es eine gute Beschreibung von einem speziellen Problem, das Katzen an den Zähnen haben: Die feline (also bei Katzen vorkommende) odontoklastische resorptive Läsion. Dabei ist der Zahn am Übergang zum Zahnfleisch beschädigt. Es ist oft ein roter Ring zu sehen. Dabei sind anscheinend keine Bakterien beteiligt. Über die Ursachen rätselt man noch. Vielleicht sind die unerklärlichen Zahnschmerzen vieler Menschen mit dieser Katzenzahnkrankheit zu vergleiche. Dabei werden verschiedene Ursachen angenommen – z.B. ein unausgeglichener Kalzium-Phosphat-Haushalt. Auch das Immunsystem ist anscheinend beteiligt („Durch Zytokine (Interleukin-1α und β, Interleukin-3, Interleukin-6, Tumornekrosefaktor) werden Odontoklasten (Dentinoklasten) aktiviert.“ Quelle: Wikipedia). Odontoklasten sind Zellen, die Zahnhartsubstanz abbauen.

Säurearrosionen

Uschi Dreiucker, Pixelio

Uschi Dreiucker, Pixelio

Manchmal sind die Zähne auch von Säure angegriffen. Magensäure bei Stress, Säfte und Obst oder zu starkes Zähneputzen können den Zahn und das Zahnfleisch reizen. Manchmal hilft es, einige Tage auf säurehaltige Lebensmittel wie Säfte oder Obst zu verzichten oder Magentees (z.B. Kümmel) zu trinken. Es kann sogar helfen, einige Tage den betroffenen Zahn nicht direkt zu putzen, um ihn nicht zu reizen. Eine professionelle Zahnreinigung an dieser Stelle kann gut tun, aber auch das Gegenteil bewirken und den Schmerz verstärken. Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber die Zahncreme Biorepair® verspricht, den Zahnschmelz wieder leicht aufbauen zu können.

Ganzheitlich

Die Schulmedizin gelangt bei unklaren Zahnschmerzen an ihre Grenzen. Manchmal können chinesische Mediziner und Akupunktur weiterhelfen. Die Zahn- und Mundgesundheit ist verbunden mit der Gesundheit von Magen und Darm. Auch Niere, Leber, Galle oder Milz können mit Beschwerden an Zähnen und Zahnfleisch aus traditionell chinesischer Sicht zusammenhängen. Manche Patienten wenden sich auch an ganzheitliche Zahnmediziner (Internationale Gesellschaft für ganzheitliche Zahnmedizin). Aber auch hier muss man genau schauen, denn die Behandlungen sind oft teuer und für viele Theorien gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Nachweis.

Die Psyche

Die Psyche spielt bei unklaren Zahnschmerzen bzw. dem orofazialen Syndrom eine große Rolle. Der psychosomatisch orientierte Berliner Zahnarzt Hans-Joachim Demmel hat hierzu einen sehr guten Beitrag geschrieben:

Hans-Joachim Demmel:
Orofaziales Schmerz-Dysfunktionssyndrom und atypischer Gesichtsschmerz
in: Egle, U T (Hrsg): Handbuch Chronischer Schmerz, Schattauer, Stuttgart 2003
http://www.demmel-berlin.de/pub_wiss_texte.php

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Der Zahn und die Sexualität
Angst vor dem Zahnarzt (Zahnarztphobie)
Das Cogan-Syndrom

Links:

Christine Vetter:
Chronischer Gesichtsschmerz – Nehmen Sie den Kampf auf!
Medical Tribune, 9.2.2011
http://www.medical-tribune.de/medizin/fokus-medizin/artikeldetail/chronischer-gesichtsschmerz-nehmen-sie-den-kampf-auf.html

Mechthild Rüther (Oktober 2006):
Last Exit Steigerwald?
Erfahrungsbericht einer Patientin mit Gesichtsschmerzen
Behandlung mit Chinesischer Arznei (Phytotherapie der TCM)
http://www.schmerz-schmerzen-tcm.de/443,schmerzerkrankungen.html

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 1.9.2013
Aktualisiert am 29.5.2016


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