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Angststörung: Nicholas Müller (von Brücken) bei Volle Kanne (4.4.2016)

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von_bruecken_angststoerung_volle_kanneNicholas Müller singt zusammen mit Tobias Schmitz in der Band „von Brücken“. In der ZDF-Sendung „Volle Kanne“ spricht er über seine Anststörung. Seine erste Panikattacke erlitt er kurz nach dem Tod seiner Mutter, nämlich auf der Trauerfeier. Aus psychoanalytischer Sicht ist dies eine typische Auslösesituation. An diesem Beispiel würde sich sehr viel verstehen lassen. Fernseharzt Dr. Christoph Specht erklärt sehr beruhigend und verständlich, aber er zeigt nur die verhaltenstherapeutische Sichtweise auf.

Viel hilft’s nicht

Die Informationen, die in der Sendung zur Angst- und Panikstörung geliefert wurden, waren dementsprechend dünn. Das Beispiel vom „Säbelzahntiger“, vor dem wir weglaufen wollen, wird ja immer wieder aufgeführt, hilft dem Angst-Kranken aber meistens nur wenig. Dr. Specht schlägt diese Hilfen vor: „Die Situation so realistisch wie möglich einschätzen“ und „sich immer wieder konfrontieren“. Aber bei der Angststörung geht es nicht um die äußere Realität. Was bei der Angststörung Angst macht, sind die inneren Realitäten. Und dazu gehört nicht nur die bewusste Angst, man könne nun selbst versterben („Aber ich sterbe“, denkt Nicholas Müller während der Angst), sondern auch viele unbewusste Ängste.

Unverarbeitete Trauer kann große Angst machen.

Konfrontieren ja – aber mit was?

Die Verhaltenstherapeuten sagen, man solle sich „konfrontieren“ und meinen damit die äußere Situation, die Angst macht, also z.B. der Besuch im Supermarkt. Womit sich die Betroffenen aber wirklich konfrontieren sollten, sind aus psychoanalytischer Sicht die inneren Gefahren. Also am Beispiel von Nicholas Müller könnte man psychoanalytisch am Thema „Tod der Mutter“ arbeiten. Wenn die Mutter stirbt, während man selbst noch so jung ist, selbst an der Schwelle der Familiengründung steht, kann das so viele Phantasien und Ängste auslösen, dass der Betroffene völlig überfordert ist.

Unbewusste Gedanken

Ein unbewusster Gedankengang könnte zum Beispiel in einer Situation, wie Thomas Müller sie erlebt hat, so aussehen:
„Ich habe mich mit meiner Mutter nicht gut verstanden. Irgendwie habe ich ihr manchmal den Tod an den Hals gewünscht. Und jetzt ist sie tot. Habe ich das gemacht? Muss ich mich schuldig fühlen? Welche Macht habe ich eigentlich? Welche Macht haben meine Wünsche, Gedanken und Phantasien? Ist da auch ein Funke Erleichterung, gar Freude, dass sie tot ist? Darf sowas auch dabei sein? Sind meine früheren Rachewünsche wahr geworden? Können andere sehen, was ich für ein ’schlechter Mensch‘ bin?“

Andere unbewusste Gedanken könnten etwa sein:
„Ich habe meine Mutter so sehr geliebt! Ich kann mir nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Ich fühle mich schuldig, dass ich lebe und sie tot ist. Darf ich jetzt noch das Leben genießen? Darf ich selbst eine Familie gründen? Darf ich Erfolg haben? Was, wenn ich nun auch sterbe, weil sie gestorben ist? Was, wenn ich alleine nicht lebensfähig bin? Nun bin ich mit meinem Vater allein – wie soll ich das schaffen? Mein Herz schmerzt mich so sehr (Stichworte: Herzangstneurose/Kardiophobie, Broken Heart Syndrome). Mein Kummer ist riesig.“
Die gegensätzlichsten Gedanken können auch zusammen auftreten. Und das macht ungeheure Angst.

Da darf etwas nicht angeschaut werden. Während einer Panikattacke haben die Betroffenen oft eine große Angst davor, dass andere etwas bei ihnen entdecken könnten. Sie fühlen sich, als müssten sie etwas vor anderen und vor sich selbst verstecken, wissen aber selbst nicht, was es ist. Bei diesem „Verstecktem“ handelt es sich oft um die unbewussten Phantasien, Gefühle, Gedanken, Wünsche und Ängste, die der Betroffene selbst und auch kein anderer sehen darf. So lange, bis sie mithilfe einer psychoanalytischen Therapie bewusst werden.

Konfrontation mit den inneren Gefahren ist notwendig

Zu mir kommen immer wieder Patienten, die sagen, dass sie sich nun hunderte Male mit ihrer Panikattacke im Supermarkt konfrontiert haben, dass es ihnen aber einfach nicht besser geht. Das liegt aus meiner Sicht daran, dass mit ihnen noch kein Therapeut das wirkliche innere Problem angeschaut hat. Die sehr einfühlsame und interessierte Moderatorin Andrea Ballschuh zeigt in dieser Sendung recht deutlich, wie man versucht ist, dem schmerzlichen Thema aus dem Weg zu gehen, indem sie etwas zurückhaltend sagt, dass das „bei ’ner Trauerfeier passiert“. Man ist versucht, einen Bogen darum zu machen. Doch für den Betroffenen Nicholas Müller ist es eben DIE Trauerfeier, die entscheidende Trauerfeier in seinem Leben.

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass zu diesem Thema Angststörung, unter dem so viele Menschen leiden, auch ein Psychoanalytiker in der Sendung befragt worden wäre. Nur wenn die Betroffenen die verschiedenen Therapiemöglichkeiten kennen, können sie sich für den Weg entscheiden, der ihnen persönlich am besten hilft.

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