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So entsteht ein psychischer (Denk-)Raum im Baby

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beta_element_loeweBabys machen psychisch anfangs kaum etwas anderes als „projektive Identifizierung“: Sie schreien und zeigen der Mutter ihr Unwohlsein, ihren Hunger, ihre Angst. Sie legen quasi ihre Gefühle in die Mutter hinein. Die Mutter spürt das Unbehagen. Wenn sie gesund ist, kann sie nicht anders, als zum Baby hinzugehen und es hochzunehmen. Die Mutter will das Baby verstehen, sie will ihm die Spannung nehmen. Die Mutter erspürt die Körperspannung des Babys, hört auf die Art des Schreiens, schaut auf das Gesicht des Kindes, nimmt eine ähnliche Mimik an. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Das Baby zeigt seinen Zustand

Das Baby liefert seinen Gefühlszustand bei der Mutter ab. Die Mutter kann diesen Gefühlszustand aufnehmen. Das Baby kann noch nicht nachdenken über das, was da mit ihm und in ihm geschieht. Es kann nur wahrnehmen und schreien. Was da psychisch in ihm vorhanden ist, sind einfach nur „Zustände“. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) nannte dieses unreife Etwas, was da zu Beginn in Babys Psyche ist, die „Beta-Elemente“. Diese „Beta-Elemente“ kann die Mutter umformen. Sie nimmt das Baby auf, nimmt seine Gefühle auf und hält sie für einige Augenblicke in sich. Ihre Psyche ist wie ein Körbchen, wie ein „Container“ für den Zustand des Babys.

Der Verstehensraum

Dieser „Container“ ist wie ein Raum in der Mutter. Die Mutter kann über das Baby nachdenken. Sie erfasst intuitiv: „Mein Baby hat Hunger, mein Baby hat Angst, hat Sehnsucht nach mir, fühlt sich alleine, hat Bauchschmerzen.“ Sie wiegt das Baby in ihren Armen, legt es an ihre Brust, berührt es, streichelt es, beruhigt es mit ihrem Atem, mit ihrer Körperwärme, mit ihrer Stimme. Sie gibt dem Baby, was es braucht. Im Baby verändert sich der Zustand: Die Not lässt nach, es stellt sich ein wohliger Zustand ein.

Ist dieser Vorgang gestört, zum Beispiel weil das Baby in der Krippe (mit zu wenig Personal) ist oder weil es die Vojta-Therapie erhält, bei der die Mütter nicht auf das Schreien reagieren sollen, können schwere psychische Störungen entstehen. Bei schweren psychischen Störungen, z.B. bei einer Borderline-Störung, zeigen die Patienten immer wieder, dass sie die körperliche Anwesenheit des Therapeuten brauchen, damit die „psychische Verdauung/Verarbeitung“ von Ängsten und Zuständen überhaupt möglich ist. Im Erwachsenenalter muss dann der Vorgang, der bei Mutter und Baby abläuft, nachgeholt werden.

Neue Bilder entstehen

Das Baby macht die Erfahrung: „Ich hatte Not, habe sie gezeigt, die Mutter ist gekommen, hat meine Not aufgenommen, hat meinen Hunger gelindert, hat meine Spannung verringert – kurzum: Sie hat mich verstanden.“ Diese Vorgänge wiederholen sich abertausende Male. Das Baby kann sich diesen Vorgang immer besser vorstellen. Es denkt an die Mutter und stellt sich vor, wie die Mutter seine Gefühle aufnimmt und wie sie ihm zurückgibt, was es braucht. Die Mutter macht aus den „unreifen, chaotischen psychischen Elementen“, den Beta-Elementen, reifere psychische Elemente, die „Alpha-Elemente“.

Ein Container als Denkraum

„Alpha-Elemente“ sind sozusagen Teile in der Psyche, über die wir nachdenken können, die wir „handhaben“ können. Alpha-Elemente machen im Gegensatz zu Beta-Elementen viel weniger Angst. Das Baby nimmt im Laufe der Zeit die Mutter in seine Psyche auf, oder besser gesagt: Es nimmt ihren „Container“ in seine Psyche auf. So entsteht ein innerer Raum, in dem das Kind seine Gefühle und Zustände zunehmend selbst verarbeiten kann. Es entsteht ein „Denk-Raum“.

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