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Introjekte – wen haben wir denn da gefressen?

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engelchen_und_teufelchenSeelisch machen wir das, was wir mit unserem Körper auch tun: Wir verleiben uns etwas ein, also „introjizieren“ es, und wir stoßen Dinge aus, also „projizieren“ sie. Manchmal tun wir Dinge, von denen wir sagen: „Das bin nicht ich.“ Auch der psychisch gesündeste Mensch kommt sich manchmal so vor, als würde er von etwas gesteuert oder getrieben. Manchmal fühlen wir uns so, als würde unsere „böse Mutter“ in uns aus uns heraussprechen. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Sie sind einfach da

Introjekte sind vereinfacht gesagt Bilder von nahen Bezugspersonen (besonders oft von Vater und Mutter), die wir in uns aufgenommen haben. Oft sind uns unsere Introjekte unheimlich. Sie werden sehr unterschiedlich erlebt. Manche Menschen sprechen von dem Gefühl, da Engelchen und Teufelchen auf den Schultern sitzen zu haben, andere fühlen sich von anderen Menschen im Kopf verfolgt. Der Berliner Psychoanalytiker Hermann Beland (DPV) schreibt:

(Der Psychoanalytiker Roy) Schafer weist mehrfach darauf hin, dass die räumliche Lokalisierung dieser Präsenzen ganz unterschiedlich erlebt wird: Sie können außerhalb des Körpers, im Körper oder einfach nur unbestimmbar da sein. Eigentich sind nur die Körper agierend gedahctne Tagrtraumpersonen richtig benannte Introjekte, aber der Ausdruck hat sich für die ganze Gruppe dieser wichtigen subjektiven Erfahrungen eingebürgert und sollte so bleiben, vor allem, wenn ihre Tagtraumherkunft mitgeacht wird. Eine offenbar angebörene Möglichkeit zur Bildung einer benignen Tagtraumpräsenz in Verbidnung mit einer materiellen Traägerbasis kann man im Transitional Object (Übergangsobjekt) der kleinen Kinder sehen (Winnicott 1971).“
Quelle:
Hermann Beland: Die unbewusste Phantasie. Kontroversen um ein Konzept
Forum der Psychoanalyse, Band 5, Heft 2, Juni 1989, S. 92
Hermann Beland schreibt unter der Überschrift „Tagtraum und Introjekt bei Roy Schafer“ weiterhin: „Introjekte sind wunscherfüllende Tagtraumvergegenwärtigungen der Gegenwart einer anderen Person, benigne, oder feindseelige oder depressive.“ (S. 91)
Gut sind wir gerne selbst – da brauchen wir keine Introjekte, kein Fremdgefühl für. Introjekte sind praktisch für’s Schlechtsein.

Die guten und schlechten Stimmen in uns

Wenn wir gute Introjekte haben, fühlen wir uns beschützt. Die gute Oma in uns macht uns Mut und sagt: „Du schaffst das schon.“ Aber wozu brauchen wir die schlechten Introjekte? Die Vorstellung vom Vater, der hämisch lacht und sagt: „Ich hab’s doch gleich gewusst?“ Hermann Beland zählt einige „Vorteile“ auf, die schlechte Introjekte für uns haben können (S. 92).

Der Nutzen, den negative Introjekte für uns haben, kann demnach vereinfacht gesagt so aussehen:

  • wir können unseren Masochismus ausleben, indem wir unter dem bösen Introjekt leiden
  • wir können unser Bedürnfis nach Strafe befriedigen, denn das Introjekt bestraft uns und durchkreuzt unsere Pläne
  • wir wiederholen schmerzhafte Geschichten, die wir mit anderen (Eltern, Lehrern, Geschwistern, Partnern) erlebt haben, mit unserem bösen Introjekt in der Hoffnung, dass es endlich gut ausgeht
  • wir haben das Gefühl, dass „das Böse in uns“ gar nicht wir selbst sind, sondern ein Gesicht hat
  • „weil ein schlechtes Objekt einem zu verführerischen vorzuziehen ist“ (Beland, S. 92)
  • um uns zusammen mit dem Introjekt mächtiger zu fühlen
  • wir haben das Gefühl, uns am anderen gerächt zu haben: „Den hab‘ ich ja gefressen!“ So besitzen wir ihn, aber wir müssen seine Rache fürchten und ihn kontrollieren. Das können wir am besten, indem er immer bei uns ist.
  • um unsere aggressiven Wünsche zu befriedigen, uns dabei unschuldig zu fühlen, weil’s ja „der böse (Vater) in uns“ war
  • um davon abzulenken, dass wir uns manchmal auch selbst hassen

Und es gibt wahrscheinlich viele weitere Gründe, warum auch negative Introjekte für uns sinnvoll sein können. Bei psychotischen Patienten sind diese Mechanismen wahrscheinlich verstärkt. Hier erleben die Betroffenen es so, dass die negativen Introjekte sich als Stimmen bemerkbar machen, die den Betroffenen dann befehlen, zerstörerische Dinge zu tun.

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