Seelisch machen wir das, was wir mit unserem Körper auch tun: Wir verleiben uns etwas ein, also „introjizieren“ es, und wir stoßen Dinge aus, also „projizieren“ sie. Manchmal tun wir Dinge, von denen wir sagen: „Das bin nicht ich.“ Auch der psychisch gesündeste Mensch kommt sich manchmal so vor, als würde er von etwas gesteuert oder getrieben. Manchmal fühlen wir uns so, als würde unsere „böse Mutter“ in uns aus uns heraussprechen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Sie sind einfach da
Introjekte sind vereinfacht gesagt Bilder von nahen Bezugspersonen (besonders oft von Vater und Mutter), die wir in uns aufgenommen haben. Oft sind uns unsere Introjekte unheimlich. Sie werden sehr unterschiedlich erlebt. Manche Menschen sprechen von dem Gefühl, da Engelchen und Teufelchen auf den Schultern sitzen zu haben, andere fühlen sich von anderen Menschen im Kopf verfolgt. Der Berliner Psychoanalytiker Hermann Beland (DPV) schreibt:
Quelle:
Hermann Beland: Die unbewusste Phantasie. Kontroversen um ein Konzept
Forum der Psychoanalyse, Band 5, Heft 2, Juni 1989, S. 92
Die guten und schlechten Stimmen in uns
Wenn wir gute Introjekte haben, fühlen wir uns beschützt. Die gute Oma in uns macht uns Mut und sagt: „Du schaffst das schon.“ Aber wozu brauchen wir die schlechten Introjekte? Die Vorstellung vom Vater, der hämisch lacht und sagt: „Ich hab’s doch gleich gewusst?“ Hermann Beland zählt einige „Vorteile“ auf, die schlechte Introjekte für uns haben können (S. 92).
Der Nutzen, den negative Introjekte für uns haben, kann demnach vereinfacht gesagt so aussehen:
- wir können unseren Masochismus ausleben, indem wir unter dem bösen Introjekt leiden
- wir können unser Bedürnfis nach Strafe befriedigen, denn das Introjekt bestraft uns und durchkreuzt unsere Pläne
- wir wiederholen schmerzhafte Geschichten, die wir mit anderen (Eltern, Lehrern, Geschwistern, Partnern) erlebt haben, mit unserem bösen Introjekt in der Hoffnung, dass es endlich gut ausgeht
- wir haben das Gefühl, dass „das Böse in uns“ gar nicht wir selbst sind, sondern ein Gesicht hat
- „weil ein schlechtes Objekt einem zu verführerischen vorzuziehen ist“ (Beland, S. 92)
- um uns zusammen mit dem Introjekt mächtiger zu fühlen
- wir haben das Gefühl, uns am anderen gerächt zu haben: „Den hab‘ ich ja gefressen!“ So besitzen wir ihn, aber wir müssen seine Rache fürchten und ihn kontrollieren. Das können wir am besten, indem er immer bei uns ist.
- um unsere aggressiven Wünsche zu befriedigen, uns dabei unschuldig zu fühlen, weil’s ja „der böse (Vater) in uns“ war
- um davon abzulenken, dass wir uns manchmal auch selbst hassen
Und es gibt wahrscheinlich viele weitere Gründe, warum auch negative Introjekte für uns sinnvoll sein können. Bei psychotischen Patienten sind diese Mechanismen wahrscheinlich verstärkt. Hier erleben die Betroffenen es so, dass die negativen Introjekte sich als Stimmen bemerkbar machen, die den Betroffenen dann befehlen, zerstörerische Dinge zu tun.
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