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„Ich hätte gerne einen Negerkuss“. Oder: Wie Spontanität vergeht und Peinlichkeit entsteht.

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schokokuss_birgit_hIm Kindergarten gab’s was total Leckeres. „Was ist das?“ – „Ein Negerkuss“, antwortete die Kindergärtnerin warmherzig. Ein Negerkuss! Wie schön … Beim Bäcker sagt das Kind mit Freude: „Ich hätt‘ gern einen Negerkuss!“ Die Freude hat aufgehört. Politisch korrekt muss man sein. Das Wort „Neger“ wurde abgeschafft. Auch die Negerküsse beim Bäcker gibt es nicht mehr. Gäbe es sie, würde sich das Kind wahrscheinlich freuen, spontan darauf zeigen und sagen: „Ich hätt‘ gern einen … äh einen Schoko- … äh einen Dings … Schaum … äh, na das da halt!“ Peinlich. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Birgit H., Pixelio)

Gebremst werden

„Starrt nicht so auf die Behinderten“, ist ein anderer Satz, der befangen macht. Kinder schauen oft neugierig auf Menschen mit Behinderung und interessieren sich für sie. Sobald ein Erwachsener zur Zurückhaltung ermahnt, ist das Kind gehemmt. Die Unbefangenheit ist weg.

In der Serie „Mord mit Aussicht“ sagt die Kommissarin: „Ich suche eine … eine, Putz-, eine -Hilfe, na, eine, die mir im Haushalt hilft“ – „Sie suchen eine Putzfrau!“, kommt ihr die Putzfrau zu Hilfe. Peinlich war es ihr, der Kommissarin. „Ja“, sagt sie erleichtert.

Meine Fiseurin wunderte sich letztens, als ich ihr sagte, dass man heute „Friseurin“ sagt. „Watt?“, meinte sie, „ich bin Frisöse und bleib‘ das auch.“ Was passiert mit uns, wenn wir „gebremst“ werden? Wir erleben immer öfter peinliche Situationen, weil wir um das Wesentliche, um das, was wir eigentlich sagen oder denken wollen, herumreden oder herumdenken müssen.

Immer wieder

Wenn wir immer wieder und immer öfter gesagt bekommen, dass wir dieses oder jenes nicht sagen dürfen, dann werden wir mehr oder minder zu einem zugeschnürten Päckchen. Wir müssen dreimal überlegen, bevor wir etwas sagen, bevor wir jemandem mit gesunder Neugier begegnen. Wir schämen uns, werden rot, wenn wir nicht aufgepasst haben. Was wir wirklich denken, was wir wirklich tun wollen, müssen wir verdecken. Wir sind unter Generalverdacht. Wer „Neger“ sagt, hat den Zeitpunkt verpasst, an dem das neutrale Wort „Neger“ (lateinisch „Schwarzer“) eine „negative Konnotation“ erhielt, wie es so schön heißt.

Die Spontanität verlieren

Sicher, wir können und müssen aufpassen und rücksichtsvoll sein. Taktvoll. Wohl die meisten bemühen sich, gut in einer Gruppe oder Gesellschaft leben zu können. Doch viele haben heute das Problem, dass sie sich häufig für irgendetwas schämen oder dass ihnen ständig irgendetwas peinlich ist. „War ich zu laut, zu vorschnell, zu indiskret, zu direkt?“, fragen sie sich.

Am Beispiel der Debatte um die „Political Correctness“ zeigt sich, was mit Menschen passiert, wenn sie sich zu sehr in acht nehmen müssen und ihre Spontanität verlieren. Sie müssen ständig nachdenken, ob sie alles richtig machen. Darüber kann man zwanghaft werden oder eine „Soziale Phobie“ entwickeln. Wenn es zu viele Einschnürungen gibt, hält man das nur schwer aus. Nur mit viel Mühe gelingt es später, die gefühlten Einschnürungen wieder loszuwerden.

Inspiriert

mariusjung_negerZu diesem Beitrag inspirierte mich die Sendung
„Fallen, Fettnäpfchen, Verfehlungen – Wie politisch korrekt müssen wir sein?“
Von Dörte Hinrichs und Petra Ensminger
„Lebenszeit“ im Deutschlandfunk, 20.9.2013, 10.10 Uhr
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lebenszeit/2254661/
Zu Gast: Marius Jung, Autor des Buches „Singen können die alle! Handbuch für Negerfreunde“ (Carlsenverlag)

Der Autor Marius Jung – selbst ein Schwarzer – erzählt in der Sendung, dass es Buchhandlungen gebe, die sein Buch nicht verkaufen wollen.

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Dieser Beitrag wurde erstmals erstellt am 21.9.2013
Aktualisiert am 19.3.2016


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