Nicht wenige Menschen haben das Gefühl, ekelig zu sein. Oft fing dieses Gefühl in der Pubertät an. Da bekam man Akne, fing an, nach Schweiß zu riechen und Mundgeruch zu bekommen. Lieblose Mütter haben durch ihre kritischen Blicke dafür gesorgt, dass sich das Gefühl von Ekel verstärkte. Frauen, die darunter leiden, sich ekelig zu finden, hatten oft Mütter, die sich selbst als Frau nicht schätzten, sich nicht gut pflegten und nicht schön kleideten. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Der Bauch
Schaut die reife Frau auf ihren Bauch, erkennt sie denselben „ekeligen Bauch“ ihrer Mutter wieder. Wenn sie sich im Spiegel anschaut, bekommt sie leicht das Gefühl, im Körper der Mutter zu stecken. Besonders magersüchtige Mädchen wollen verhindern, so weich und schwabbelig zu werden wie die Mutter. Jedes Gramm Fett zu viel wird als ekelig empfunden.
Grenzüberschreitende Eltern
Frauen, die darunter leiden, sich ekelig zu finden, hatten oft Eltern, die ihre Grenzen nicht beachteten. Vielleicht tranken die Eltern zu viel Alkohol, waren dadurch enthemmt und kamen dem Kind immer wieder zu nah. Mädchen, die sexuellen Missbrauch erlebten, leiden besonders unter dem Gefühl, ekelig zu sein. Zwar gehen manche Wissenschaftler davon aus, dass das Problem in den Hautempfindungen liegt. In einem verhaltenstherapeutischen Programm (Jung et al. 2011) wird den Betroffenen verdeutlicht, wie oft ihre Haut sich schon seit dem Missbrauch erneuert hat. Ich glaube jedoch, dass das Problem nicht unbedingt auf der Haut liegt, sondern in den Muskeln. Die Berührungen, die der übergriffige Vater/die übergriffige Mutter dem Kind angetan haben, sind in den Propriozeptoren der Muskeln abgespeichert. Daher mag die Vorstellung vom Hautwechsel helfen, doch das Muskelgefühl kann stärker sein.
Waschzwänge
Manche Frauen, die sich selbst ekelig finden, können einen beeindruckenden Putz- und Waschzwang entwickeln. Doch alles Wischen und Putzen scheint nicht zu helfen. Der Ekel lässt sich nicht wegwischen – auch nicht durch Deos, Zahnbürsten und Akne-Mittel. Was die Betroffenen wirklich wegwischen wollen, sind Gedanken, Erinnerungen und alte Gefühle. Sie sind schier verzweifelt.
Interessant dabei ist auch, dass Menschen mit einer hohen Neigung zu Ekel neue Ereignisse als traumatischer und invasiver als andere Menschen erleben (siehe Studie „Disgust Propensity as a Predictor of Intrusive Cognitions Following a Distressing Film“ von Jessica Bomyea und Nader Amir, 2006).
Oftmals wird den Betroffenen vorgemacht, es ließe sich schnell ein Weg aus der Misere finden. Doch gutes Zureden und neue Kleidung reichen nicht. Was den Betroffenen oft fehlt, ist ein inneres Bild von einem nicht-ekeligen Vater/einer nicht-ekeligen Mutter. Es fehlt das Bild eines integeren Vaters, einer integeren Mutter, die die Grenzen zum Kind einhalten können. Was die Betroffenen brauchen, sind neue Repräsentanzen, also enge Beziehungen zu Menschen, mit denen sie neue Erfahrungen machen können.
Neue Vorbilder
Bei sehr hartnäckigem Ekel vor sich selbst kann eine Psychoanalyse, besonders auch in Kombination mit einem Sport, helfen. Hier baut man über lange Zeit eine enge Beziehung zum Analytiker/zur Analytikerin auf, sodass man die Chance hat, ein neues inneres Bild von Beziehungen zu entwickeln.
Neue Vorbilder können zeigen, wie man die Grenzen in Beziehungen einhält. Wer von der Mutter viel Härte und Häme erfahren hat, weiß kaum, wie schön und heilend es sich anfühlt, wenn eine liebevolle Mutter einmal aufmunternd sagt: „Du Süße!“ Solche Erfahrungen fehlen den Betroffenen.
Schuld, Scham und schlechtes Gewissen
Wer „von unten“ kommt, „aus dem Dreck“, dem fällt es oft schwer, selbst neue Wege einzuschlagen. Zu sehr ist man mit dem Alten identifiziert. Schraubt man seine Ansprüche hoch und versucht, bessere Welten zu erreichen, kommt es oft zu Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen. Werden die (inneren) Eltern da nicht neidisch? Darf man das? Darf man integer sein? Oder ist man da gleich arrogant? Ist es nicht gemein, die Familie dort zurückzulassen, wo sie ist? Solche Fragen können auftauchen.
Die Trennung von Altbekanntem ist sehr schwer zu vollziehen und oft nur in winzig kleinen Schritten möglich. Wichtig dabei ist es, einen Sport zu finden, der zu einem passt. Auch hier sollte man sehr langsam vorgehen, damit man nicht gleich morgen wieder das Handtuch wirft. Und wenn man Pausen braucht und Rückschläge erlebt, ist es auch hier wichtig, sich den Rückzug zu erlauben.
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Link:
Jung, Kerstin et al. (2011):
Das Gefühl des Beschmutztseins bei erwachsenen Opfern sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.
Verhaltenshterapie 2011; 21: 247-253
DOI: 10.1159/000333389
http://www.karger.de/Article/Pdf/333389
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 13.5.2015
Aktualisiert am 16.3.2016