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Medikamente bei psychischen Beschwerden – ja oder nein?

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Bei psychischem Leid werden Medikamente oft rasch verschrieben. Manche sagen, dass ihnen die Medikamente gut tun, andere sträuben sich dagegen. Was für den Einzelnen richtig ist, kann immer nur der Einzelne sagen. Wichtig ist es, über die Medikamentenfrage nachzudenken und dem zu folgen, was einem selbst behagt. Es gibt viele Menschen mit Depressionen, die vom Arzt ein Medikament aufgeschwatzt bekommen, obwohl sie selbst große Vorbehalte haben. Selbst Kinder wissen oft ganz klar, dass sie keine Medikamente einnehmen wollen. Wichtig ist es, auch die Kinder ernst zu nehmen. (Text & Bild: © Dunja Voos)


Positive und negative Seiten

Psychopharmaka empfinden viele Patienten als hilfreich und motivierend. Sie spüren manchmal durch die Medikamente, wie anders sich das Leben anfühlen kann. Durch das Medikament entwickelt sich bei dem Betroffenen dann sozusagen eine Zielvorstellung: „Da will ich hin, so will ich mich auch ohne Medikamenten fühlen“, könnten sie sagen. Medikamente können teilweise von unerträglichen Spannungszuständen entlasten.

Andere Patienten wiederum fragen sich: „Was wirkt denn da nun? Das Medikament oder ich?“ Sie müssen häufig rätseln. Diese Verunsicherung kann zu einem größeren Problem werden als das ursprüngliche psychische Leid. Die Frage nach dem richtigen Medikament kann zur Lebensaufgabe werden, sodass manchmal weniger Energie zur Bewältigung anderer Probleme übrig bleibt.

„Nein“ zu einem Medikament zu sagen, obwohl der Arzt es für richtig erhält, erfordert oft Mut.

Medikamente verwirren und werden zur Last

Zu den eigentlichen psychischen Problemen kommt das Problem des Medikamenten-Managements hinzu. Medikamente machen müde, unruhig oder auch abhängig. Sie mauern den Betroffenen ein, die Gefühlswelt wird flacher und verschlossener und auch die Beziehung zu den anderen erscheint „betäubter“.

Bei vielen Medikamenten streiten die Wissenschaftler zudem heftig über deren Wirksamkeit. Zwischen Psychiatern und Patienten können sich regelrechte Kämpfe entwickeln, wenn zum Beispiel der Psychiater Medikamente für richtig hält, der Patient aber diese Medikamente ablehnt.

Sind Ärzte psychologisch wenig geschult, verschreiben sie unter Umständen schneller Psychopharmaka

Medikamente werden sehr wahrscheinlich oft auch deshalb verschrieben, weil viele Ärzte psychologisch oft nicht gut ausgebildet sind. Ähnlich, wie unerfahrene Ärzte aus Angst vielleicht öfter Antibiotika verschreiben, so können psychotherapeutisch unerfahrene Ärzte aus Unsicherheit rasch auf Psychopharmaka zurückgreifen. Erfahrene Ärzte hingegen wissen, dass sich vieles auch ohne Medikamente wieder bessert und dass psychotherapeutische Gespräche eine ausreichende Wirkung haben können.

Wenig selbstwirksam

Medikamente können dazu führen, dass das Gefühl von Selbstwirksamkeit verloren geht. Während einer Psychotherapie wollen viele Patienten keine Medikamente nehmen, damit sie genau spüren, welche Wirkungen die Psychotherapie hervorruft. Ihre ungetrübte Gefühlswelt dient ihnen dann als wertvoller Kompass. Sie spüren deutlich, was ihnen gut tut und was ihren Zustand verschlechtert. Sie fühlen sich ohne Medikamente lebendig. Ihre Trauer, ihr Ärger, ihre Freude: das sind „sie selbst“.

Medikamente sind oft leider Lückenbüßer

Hierzulande müssen viele Patienten, denen es sehr schlecht geht, oft lange auf einen Therapieplatz warten. Die Wartezimmer der Ärzte sind überfüllt. Für lange Gespräche, Verständnis und Trost bleibt oft keine Zeit. Manchmal werden dann Medikamente verschrieben, weil eben gerade „nichts Besseres“ da ist. Das ist unsere Realität.

Viele Patienten glauben aufgrund von „Expertenmeinungen“, dass Medikamente unbedingt sein müssten. Das ist aber nicht der Fall. Depressionen, Angststörungen, Borderline, ADHS und andere Störungen „müssen“ nicht mit Medikamenten behandelt werden – sie „können“. Wichtig an dieser Stelle ist die Frage: Was möchte der Patient – auch, wenn der Patient ein Kind ist!

Vielen Patienten wäre schon geholfen, wenn man ihnen mehr Zutrauen, Beziehung und Zeit schenken würde. Denn allein das Gefühl: „Ich brauche ein Medikament“ reduziert bei vielen Patienten das Selbstvertrauen. Sie gewinnen es oft erst zurück, wenn ihnen jemand sagt: „Es geht auch ohne Medikamente. Was Sie brauchen, ist keine Pille, sondern eine heilsame Beziehungserfahrung.“ Die heilsame Beziehung zu einem Therapeuten ist wirksamer als jedes Medikament. Das zu erfahren, tut vielen Patienten sehr gut.

Peter Breggin, MD: Do You Have a Biochemical Imbalance? Simple Truths About Psychiatry

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.10.2012
Aktualisiert am 27.2.2016

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