Wer PsychoanalytikerIn wird, ist meistens schon in einem anderen Beruf erfahren. Er oder sie hat Kinder. Kennt Scheidungen, kennt Gerichtsverhandlungen, Hausbau, eigene Patienten-Psychoanalysen, Hartz IV, spirituelle Krisen, psychotherapeutische Schulen, hunderte von Büchern. Er oder sie hat sich bereits sein eigenes Lebenskonzept gestrickt und viele eigene Antworten gefunden. Dann beginnt man – vielleicht mit Mitte 40 – eine Psychoanalyse-Ausbildung. In der Lehranalyse lernt man erneut so Vieles über sich. Es beginnen die Therapien mit Ausbildungsfällen. Und man muss zum Supervisor. Auf einmal ist man wieder der Schüler oder die Schülerin. Auf einmal entwickelt man sich wieder.
Man könnte selbst der Kritiker sein
Was dann aber vielleicht besonders hart erscheint, sind die Kritiken, auf die man stößt. Mit 20, klar, da ist man noch jung. Man ärgert sich über den Alten, der meint, alles besser zu wissen, schluckt und fährt fort mit der Rebellion. Aber im reifen Erwachsenenalter trifft die Kritik viel härter. Andere Meinungen neu zuzulassen erscheint manchmal wie ein hohes Hindernis, eben weil man schon so viele eigene Erfahrungen gemacht hat. Manchmal erinnern mich Supervisionen und Supervisionsrunden an die Situation als junge Mutter: Die junge Mutter hat ihr Baby, kennt ihr Baby, findet heraus, was wichtig und richtig ist.
Als angehende/r Analytiker/in hat man den Patienten. Man lernt ihn kennen, eine einzigartige Zweiersituation entsteht. Die Mutter geht zum Babytreff. Die Kursleiterin ist Anfang 50. Die Mutter geht zur Erziehungsberatung. Die Beraterin ist Ende 20. Und immer wieder hört sie Tipps, was sie doch probieren könne, um es besser zu machen. Motiviert stürzt sich die Mutter auf ihr Baby und probiert die neuen Tipps aus. Nach wenigen Tagen gibt sie erschöpft auf. Es ist nicht ihr Weg. Es ist nicht natürlich entstanden. Sie hat versucht, Anregungen aufzunehmen, die nicht zu ihr und dem Baby passen. Ganz ähnlich ist es in der Supervision: Man nimmt vielleicht zähneknirschend die neuen Ideen auf, versucht sie umzusetzen und scheitert. Manchmal jedenfalls. Manches ist sehr hilfreich, anderes eben nicht.
Änderungsversuche nicht forcieren
Die Fehlversuche schmerzen, weil man sich selbst und seinem Baby/seinem Patienten damit Leid zufügen kann. An der Meinung der anderen, der Kritiker, ist etwas dran. Aber vielleicht passt sie jetzt noch nicht. Vielleicht muss sie eingebaut werden wie ein Samenkorn in die Erde und sie muss viele Jahre gegossen werden, bis daraus etwas Gutes entsteht. Die Kritik trifft hart. Was ist enger als eine Mutter-Kind-Beziehung, eine Analytiker-Analysand-Beziehung? Aber man kann die Kritik ruhen lassen. Man kann sie organisch mitwachsen lassen in das, was man selbst entwickelt. Es ist nicht leicht, im fortgeschrittenen Alter die Meinungen der anderen zu hören, was denn nun besser oder schlechter, richtiger oder falscher sei im Umgang mit dem eigenen Patienten. Doch egal, was man hört: Man kann sich selbst treu bleiben und sich Zeit lassen. Viel, viel Zeit.