Menschen mit einer Zahnarztphobie zögern oft sehr lange, bis sie endlich den Weg in eine Zahnarztpraxis schaffen. Es kostet sie unglaublich Überwindung, bei einem Zahnarzt anzurufen, in die Praxis zu gehen, sich auf den Stuhl zu setzen und den Mund zu öffnen. Da nützen auch die schönsten Bilder an der Wand und Naturfilme im Behandlungszimmer nur wenig. Immer wieder liest oder hört man in den Medien etwas über die Zahnarztphobie. Meistens werden dann Zahnärzte empfohlen, die Hypnose anbieten. Doch wer wirklich Angst vor dem Zahnarzt hat, der fürchtet sich auch vor der Hypnose, denn er verbindet „Hypnose“ gedanklich mit „Kontrollverlust“. Und das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, ist für den Patienten mit Zahnarztangst das Allerschlimmste. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Ulla Trampert, Pixelio)
Verständnislosigkeit
Viele Menschen fürchten sich vor dem Zahnarzt oder gehen zumindest mit einem mulmigen Gefühl dorthin. Wer aber an einer echten Zahnarztphobie leidet, der fürchtet sich nicht nur ein bisschen, sondern der fühlt sich innerlich gequält und hat große Angst. Das ist für Außenstehende oft schwer nachzuvollziehen. Sicher, da wird das ein oder andere schlechte Zahnarzterlebnis in der Kindheit zur Erklärung herangezogen, aber solch ein einziges Erlebnis ist meistens nicht die Ursache für eine ausgeprägte Zahnarztangst – dahinter steckt viel mehr.
Die Angst vergeht nur bedingt durch „Üben“
Wer eine Zahnarztphobie hat und eine Verhaltenstherapie macht, der „übt“ in der Therapie, zum Zahnarzt zu gehen. Durch häufige Besuche mit langsamer Gewöhnung an den Zahnarztbesuch kann die Angst nachlassen. Doch auch das hilft vielen Betroffenen nicht ausreichend. Denn über die wahren Ursachen ihrer Angst spricht oft niemand – häufig können die Betroffenen sie selbst nicht so richtig formulieren. Echte Zahnarztangst hat sehr viel damit zu tun, wie der Betroffene aufgewachsen ist. Nicht wenige haben in frühester Kindheit regelmäßig Gewalt oder Kontrollverlust erlebt. Zu spüren, was man will und es dann auch zu sagen, war aufgrund der Erziehung nicht möglich. Und auch sexueller Missbrauch kommt in Familien sicher häufiger vor, als offizielle Zahlen das widergeben. Die Betroffenen verbinden die Zahnarztangst manchmal nicht direkt mit ihrer schweren Kindheit. Denn was von so einer Kindheit übrig bleibt, sind oft nicht die bewussten Erinnerungen, sondern die unguten Gefühle. Es fällt den Betroffenen oft sehr schwer, einem anderen zu vertrauen. Schon „normales, zwischenmenschliches Vertrauen“ ist schwer. Wie schwer muss es dann sein, einem anderen so zu vertrauen, dass er in der eigenen Intimsphäre, dem Mund, „arbeiten“ darf. Bewusst oder unbewusst, in jedem Fall aber unausgesprochen, kommen da auch Gedanken an Sexualität hoch. Doch was dem Patienten vielleicht helfen würde, wäre eine Situation, die nur schwer herzustellen ist: Das offene Gespräch. Zahnärzte sind in der Regel nicht spezialisiert auf schwere Kindheiten oder sexuellen Missbrauch. Und die Patienten sind oft so traumatisiert, dass sie auch nicht darüber sprechen können. Was bleibt, und was spürbar ist, ist eine unausgesprochene, fast unerträgliche Spannung.
Was dem Betroffenen hilft
Manchmal hilft nur ein langer Weg, um die Zahnarztphobie zu überwinden. Dazu kann zum Beispiel eine psychoanalytische Therapie gehören. Hier kann der Betroffene oft erstmals im Leben erfahren, wie es ist, einem anderen zu vertrauen. Ist die Beziehung zwischen Patient und Therapeut gefestigt, hilft es dem Patienten auch, bei seinem Gang zum Zahnarzt an den Therapeuten zu denken.
Außerdem hilft nur ein „gutes Gefühl“ beim Zahnarzt, die Angst zu überwinden. Wenn Sie unter einer Zahnarztphobie leiden, dann gehen Sie so lange auf die Suche, bis Sie jemanden gefunden haben, bei dem Sie das Gefühl haben: Ja, hier kann ich meinen Mund öffnen. Wie fühlt sich der Stuhl an? Ist er bequem? Wie ist die Stimmung im Zahnarzt-Team? Wie fühlen sich die Hände des Zahnarztes an? Ist er einfühlsam? Geht er darauf ein, wenn Sie sagen, dass Ihnen die Liege zu flach ist und dass Sie aufgrund Ihrer Angst eher im Sitzen behandelt werden wollen? Wie sieht die Praxis aus? Ist Ihnen da zu viel „Gedöns“? Videobilder aus dem eigenen Mund schrecken viele Patienten ab – auch zu einer „modernen“ Praxis können Sie „Nein“ sagen, wenn Sie sich dort nicht wohl fühlen.
Wenn von Seiten der Schmerzen noch möglich: Nehmen Sie sich Zeit
Selbst, wenn die Zähne in einem sehr schlechten Zustand sind, brauchen Sie nichts machen zu lassen, was Sie nicht wollen. Beim ersten Besuch reicht es, den Mund aufzumachen und nachschauen zu lassen. Bevor irgendein weiterer Schritt gegangen wird, können Sie noch einmal nach Hause gehen und die Sache überdenken. Sie können auch während einer Behandlung jederzeit sagen: „Stopp, ich brauche eine Pause.“ Gehen Sie nur zu einem Zahnarzt, der Ihnen sympathisch ist. Haben Sie keine Scheu, mehrere Zahnärzte zu Kontrolluntersuchungen auszuprobieren – die Unterschiede sind wirklich riesig. Wenn Sie einen Zahnarzt gefunden haben, bei dem Sie sich wohlfühlen, dann ist alles andere zweitrangig. Ob dieser Zahnarzt eine psychosomatische Grundausbildung hat, ob er Hypnose durchführt oder nicht – wichtig ist der Mensch. Und wenn Sie das Gefühl haben: Ja, dieser Zahnarzt versteht mich, ohne dass ich viel sagen muss und wir sind uns sympathisch, dann haben Sie die beste „Therapie“ gegen die Zahnarztphobie gefunden.
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Journal of Orofacial Orthopedics/Fortschritte der Kieferorthopädie, DOI 10.1007/BF02164010
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.4.2011
Aktualisiert am 10.1.2016