Im zweiten und dritten Lebensjahr ist ein Kind in der „analen Phase“. In westlichen Ländern lernt es in dieser Zeit Stuhl und Urin bewusst zu halten oder abzugeben. Töpfchentraining ist dabei unnötig. Es reicht, ein Töpfchen bereitzustellen und dem Kind zu zeigen, wie man selbst auf die Toilette geht. Wenn das Kind soweit ist, wird es innerhalb weniger Tage von selbst „trocken“. Stolz setzt es sich dann auf sein „Thrönchen“ und fühlt sich wie ein kleiner König. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Esther Hildebrandt – Fotolia.com)
Töpfchentraining unnötig
Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo hat in der Zürcher Längsschnittstudie erforscht, wie lange ein Kind braucht, um trocken zu werden. Setzten die Eltern es vor Jahrzehnten noch 10-mal am Tag auf das Töpfchen, so konnten sie behaupten, ihr Kind sei bereits mit ein oder zwei Jahren trocken. Aber sie haben es einfach so oft auf das Töpfchen gesetzt, dass das Kind keine Gelegenheit hatte, in die Windel zu machen, schreibt Largo.
Heute gehen viele westliche Mediziner davon aus, dass das Nervensystem eines Kindes erst mit zwei bis drei Jahren so ausgereift ist, dass das Kind Urin und Stuhl bewusst halten kann. Die „Windelfrei-Bewegung“ (Eliminiation Communication) sagt jedoch etwas anderes – siehe Beitrag Dreimonatskoliken – haben Windeln etwas damit zu tun?). In der Regel kann zuerst der Stuhl sicher gehalten werden. Die Blasenkontrolle ist für viele Kinder schwieriger. Erst mit etwa fünf Jahren – so die Sicht westlicher Mediziner – sind Kinder in der Lage, Stuhl und Urin so sicher wie ein Erwachsener zu halten. In der Zürcher Längsschnittstudie wurden die meisten Kinder im Verlauf des vierten Lebensjahres nachts trocken (Blasenkontrolle). (Hier sagen erfahrene Mütter der Windelfrei-Bewegung: Bereits Säuglinge werden im Schlaf normalerweise nicht nass.)
Das Kind braucht Respekt und Ruhe
In dieser Zeit benötigt ein Kind besonders viel Respekt, Ruhe und Einfühlungsvermögen. Das Kind „übt“ schon lange das Trockenwerden, bevor es auf das Töpfchen geht. Es versteckt sich hinter einer Ecke, um in Ruhe in die Windel zu machen. Als Erwachsener tut man gut daran, wenn man dem Kind in diesen Momenten Zeit lässt und wegschaut. Denn auch Kleinkinder können sich schon schämen und machen daher lieber unbeobachtet in die Windel. Danach will das Kind oft eine Weile in Ruhe gelassen werden, bevor es zulässt, dass man ihm die Windel wechselt.
Körpergrenzen werden erkannt
Das ein- bis dreijährige Kind erkennt seine Körpergrenzen und beginnt, zwischen „innen“ und „außen“ zu unterscheiden. Der Realitätssinn entwickelt sich. Mit etwa 15 Monaten sagt es zum ersten Mal „Nein“, mit knapp zwei Jahren kommt das „Ich“ hinzu. Festhalten, Loslassen und Kontrolle sind zentrale Themen in diesem Alter.
Zwang und Analität gehören zusammen
Sigmund Freud beschrieb, dass Zwanghaftigkeit eng mit der analen Phase verbunden ist. Zwanghafte Menschen sind häufig ordnungsliebend, sparsam und eigensinnig; sie geben nicht so gerne etwas her. Zuviel Kontrolle über die natürlichen Vorgänge oder über den Willen des Kindes können zu Widerstand, Kampf und Zwang führen. Auch Analität und Aggressivität hängen nach Freud so eng zusammen wie Analität und Sadismus. Unsere Sprache spiegelt den Zusammenhang wider: „Scheiß‘ drauf!“, heißt es.
Wenn Eltern dem Thema Trockenwerden zu große Aufmerksamkeit schenken, reagiert das Kind mit Trotz. Es wird seinen Stuhl so lange halten, bis es an Verstopfung leidet. Die Lösung sind dann nicht verdauungsfördernde Medikamente, sondern die Wegnahme der Aufmerksamkeit. Das Kind braucht die Gelegenheit, in Ruhe in die Windel oder ins Töpfchen zu machen. Kinder müssen meistens dann, wenn sie entspannt sind: zum Beispiel im Spiel oder gleich nach dem Essen.
Geld stinkt nicht
Wie sehr Analität und Macht in unserem Alltag zusammenhängt, wird schon an unserer Sprache deutlich. Geld, Macht und Kot werden unbewusst in Zusammenhang gebracht: Stolz sitzt das kleine Kind auf seinem „Thrönchen“, es ist Herrscher über Geben und Nicht-Geben. Der Dukatenesel scheißt Gold und man sagt: „Geld stinkt nicht“. Unehrenhafte Menschen betreiben Geldwäsche und wollen damit andere „bescheißen“.
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Zürcher Längsschnittstudie: Die meisten Kinder sind normal
Link:
Largo RH und Jenni OG:
Was verstehen wir unter einer kindgerechten Sauberkeitserziehung?
Kinderärztliche Praxis. 2005, 76: 6-10
(Es handelte sich um zwei Studien zur Sauberkeitserziehung. Insgesamt wurden 320 Kinder untersucht. Die Kinder der ersten Zürcher Studie wurden zwischen 1954 und 1956 geboren, die Kinder der zweiten Zürcher Studie zwischen 1974 und 1982.)
Fazit der Studie:
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 4.9.2011
Aktualisiert am 24.7.2015