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Was ist Psychoanalyse?

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Psychoanalyse ist eine Form der Psychotherapie. Im Vergleich zur Medizin könnte man sagen: Die Psychoanalyse ist die Intensivmedizin der Psychotherapie. Menschen, die eine Psychoanalyse beginnen, sind zutiefst verzweifelt. Bei ihnen geht es häufig um Leben und Tod und um unaushaltbare Zustände. Mit einer Psychoanalyse, die 4-mal pro Woche im Liegen auf der Couch stattfindet, lassen sich viele Fragen beantworten, viele Einsichten gewinnen, neue Lebensgefühle wecken.(Text: © Dr. Dunja Voos, Bild: © Dr. Susanne Taggruber: weitere Zeichnungen von Susanne Taggruber auf Facebook, #ttsketchnotes)

Jahrelange Bindung

Psychoanalyse will grundsätzlich verstehen. Was geht in mir vor, wenn ich Angst habe? Warum grübele ich? Woher kommt mein unbändiger Hass? Auf solche Fragen lassen sich häufig wirklich befriedigende Antworten finden. Unbewusste Phantasien sind Schwerpunkt einer Psychoanalyse, die oft viele Jahre dauert.

Zahlen die Kassen?

Wenn der Psychoanalytiker an das Krankenkassensystem angeschlossen ist, übernimmt die Krankenkasse häufig die Kosten für bis zu 300 Stunden. In manchen Fällen finanziert sie auch weitere Stunden. In zahlreichen Fällen zahlt die Krankenkasse jedoch nicht oder nicht genug, was viele Patienten in tiefste Verzweiflung stürzt. (Hier könnte ein Patenschafts-System in Einzelfällen Abhilfe schaffen – siehe: Psychoanalyse-Pate/-Patin werden).

Bei einer Behandlung im Sitzen, meist 2-mal pro Woche, spricht man von einer „psychoanalytischen Therapie“. Die klassische Psychoanalyse findet im Liegen zwischen 3- und 5-mal pro Woche statt. In der Sprache der Krankenkasse nennt sich auch dies „psychoanalytische Therapie“.

Der Patient lernt, sich selbst zu verstehen. Aus Fragezeichen werden tiefgreifende Einsichten.

Wer in Kaufhäusern unter Panikattacken leidet, hat unbewusst vielleicht „nur“ Angst, mit Vergnügen bis zum Umfallen shoppen zu gehen. Wer in einem Aufzug „Platzangst“ bekommt, hat vielleicht Angst vor seiner eigenen Wut auf den Kollegen, der mit ihm im Aufzug steht. Vielleicht aber wird es ihm in der Enge auch wieder allzu stark bewusst, dass er sich in seinem Körper gefangen fühlt, dass er lebt, was ihm Angst macht. In einer Verhaltenstherapie würden – vereinfacht gesagt – Therapeut und Patient so lange Aufzug fahren, bis die Angst verschwunden ist. In einer Psychoanalyse geht man der unbewussten Ursache der Angst nach. Sobald die Angst verstanden ist, wird sie so erträglich, dass sie das Leben nicht mehr einschränkt. Viele Ängste vergehen auch ganz.

Mehr als nur Reden

Die Psychoanalyse erforscht das Zusammenspiel von bewussten und unbewussten seelischen Vorgängen. Wie sich diese Kräfte auf das Verhalten und das Erleben auswirken, untersuchen Analytiker und Patient gemeinsam. Beide beginnen mit einem gemeinsamen Nicht-Wissen und finden Stück für Stück heraus, wieso sich der Patient so fühlt, wie er sich fühlt.

In der Psychoanalyse liegt der Patient auf der Couch und der Analytiker sitzt hinter ihm. So können sich beide nicht ins Gesicht sehen. Dadurch kann jeder, wenn er möchte, die Augen schließen und freier seinen Gedanken nachgehen. Zwar kann der Patient die Reaktionen des Analytikers nicht mehr im Gesicht ablesen, aber er orientiert sich an Geräuschen, Gefühlen und Stimmungen. Dadurch wird die Arbeit sehr kreativ und phantasievoll. Oft fallen dem Patienten dann wieder Dinge ein, die er längst vergessen glaubte. Die Psychoanalyse wurde zwischen 1890 und 1920 von dem Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) entwickelt.

Auch wenn Psychoanalyse zu Zeiten Freuds als „Rede-Kur“ galt, so ist es viel mehr, denn das Unbewusste ist sozusagen „sprachlos“. Daher wird besonders auch der nicht-sprachliche Bereich in die Psychoanalyse einbezogen: Welche Bilder hat der Patient? Was fühlt er, wie riecht er, welche Stimmungen entstehen? Forschungsarbeiten über Säuglinge und Psychosen haben dafür gesorgt, dass sich non-verbale Zustände besser verstehen lassen und auch in der Psychoanalyse besser verstanden werden.

Die Beziehung heilt

Durch die regelmäßigen Termine kann der Patient mit dem Therapeuten Beziehungssituationen herstellen, die ihm bekannt vorkommen und die ihm immer wieder Probleme bereiten. Das ist dann die Gelegenheit, diese Situation genau zu betrachten. Wie fühlt sich der Patient in der Beziehung zum Analytiker? Welche Gefühle ruft er beim Analytiker wach? Welche Gefühle löst der Analytiker beim Patienten aus?

Der Analytiker lässt sich in das Geschehen einbinden und ist mit dem Patienten zusammen oft ratlos und hilflos, aber er bleibt bei ihm. Durch seine Ausbildung kann er darüber nachdenken und versuchen, das Geschehen zu verstehen. Oft behält der Analytiker auch in rauer See den Überblick und ermöglicht es dem Patienten, sich wieder sicherer zu fühlen und neue Beziehungserfahrungen zu machen.

Der Patient kann den Psychoanalytiker gedanklich „benutzen“, so, wie er es braucht. Anders als in anderen Beziehungen kann er sich hier relativ sicher sein, dass der Analytiker ihn nicht verlässt, sich nicht rächt, ihn nicht bestraft oder auf andere Weise handelt („agiert“). Diese Erfahrungen sind es, die grundlegende Veränderungen beim Patienten bewirken.

Psychoanalytische Therapie ist Psychoanalyse im Sitzen

Viele Patienten fürchten sich vor der Situation, sich dem Therapeuten auf der Couch auszuliefern. Daher kann die Psychoanalytische Therapie im Sitzen zu Beginn für den Betroffenen angenehmer und sinnvoller sein. Wenn der Patient Vertrauen gefasst hat, kann es sein, dass die Therapie im Laufe der Zeit als Psychoanalyse im Liegen auf der Couch fortgeführt wird.


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Buchtipp: Psychoanalyse tut gut

Zum Nachlesen:

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psychoanalyse_tut_gut_
Dunja Voos
Psychoanalyse tut gut
Ein Ratgeber für Hilfesuchende
Psychosozial-Verlag 2011

Michael Ermann:
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Ein Lehrbuch auf psychoanalytischer Grundlage
Kohlhammer Stuttgart 2004: 385

Wolfgang Mertens, Bruno Waldvogel:
Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe
Kohlhammer-Verlag 2008, 79 Euro

Psychoanalyse
erklärt von Susanne Wichmann, Privatpraxis für Psychotherapie, Heidelberg

Aus Zeitung und Zeitschrift:

Was verkauft eigentlich der Psychoanalytiker?
Leser fragen Peter Schneider, 17.3.2010
www.tagesanzeiger.ch

„Stern“-Interview mit Anne Springer:
Psychoanalyse ist harte Arbeit
Stern, 4.5.2006

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 17.10.12
Aktualisiert am 31.5.2016


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