Diese Frage begegnet mir oft – so auch kürzlich auf dem Internetportal „GuteFrage.de“. Wem es psychisch sehr schlecht geht, der ist gerade am Anfang in gewisser Weise „abhängig“ von seinem Therapeuten. Der Therapeut behält den Überblick wie ein Kapitän auf tosender See. Ähnlich wie man mit einem entzündeten Blinddarm darauf angewiesen sind, dass der diensthabende Chirurg schon alles richtig machen wird, so ist man bei starkem seelischen Leiden auch darauf angewiesen, dass der Psychotherapeut fähig ist. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Zu zweit
Gerade der erste Gang zu einem Psychotherapeuten erscheint vielen wie ein großes Wagnis. Da ist man schließlich allein mit einem Therapeuten, den man noch gar nicht kennt. Allein diese Zweiersituation macht vielen Menschen mit psychischen Störungen Angst – schließlich haben nicht wenige Betroffene Gewalt in der eigenen Familie erlebt oder sie sind in engen Beziehungen erst so richtig krank geworden.
Doch so wirklich „allein zu zweit“ ist man meistens nicht. Psychoanalytiker in Ausbildung beispielsweise besprechen ihre Therapiestunden regelmäßig mit einem Supervisor, also einem erfahrenen Psychoanalytiker. Aber auch fertig ausgebildete und erfahrene Psychotherapeuten besprechen ihre „Fälle“ immer wieder mit Kollegen. Hinter einem Psychotherapeuten steht auch immer ein Gutachter, eine Krankenkasse, die Ärztekammer bzw. Bundes-Psychotherapeutenkammer oder der Ethikrat des Verbandes, dem der Psychotherapeut angehört. Hier können Patienten jederzeit anfragen, wenn sie Zweifel am Therapeuten haben.
Probleme in psychoanalytischen Therapien und in Verhaltenstherapien
Viele Patienten fragen sich im Laufe der Therapie, ob aufgrund der Therapie nicht nur alles schlimmer wird. Wer eine Verhaltenstherapie macht, stößt mitunter auf andere Probleme als derjenige, der eine psychoanalytische Therapie macht. In einer Verhaltenstherapie können Angstpatienten von Expositionsübungen überfordert sein, während Patienten in einer psychoanalytischen Therapie manchmal unter zu frühen Deutungen des Therapeuten leiden oder unter dem, was ihnen in der Therapie nach und nach bewusst wird.
Wenn unerwünschte Gefühle in der psychoanalytischen Therapie geweckt werden
Wer eine psychoanalytische Therapie macht, erlebt immer wieder, dass mitunter heftige Gefühle geweckt werden. Altbekannte Beziehungsprobleme zeigen sich irgendwann auch in der Beziehung zum Therapeuten. Doch anders als in Beziehungen „da draußen“ kann man hier genau untersuchen, was vor sich geht. Häufig erlebt der Patient dabei eine „therapeutische Ich-Spaltung“, das heißt, er leidet zwar unter den entstandenen Beziehungsproblemen zum Therapeuten, aber er merkt auch, dass es nebenher ein Band des Vertrauens gibt und dass er selbst als Patient mit daran beteiligt war, die Situation so herzustellen.
Inszenierungen wie auf einer Bühne
Der Patient bemerkt manchmal, dass er – einem Spiel ähnlich – jetzt altbekannte Beziehungsprobleme inszeniert, um sie zusammen mit dem Therapeuten zu beleuchten und zu lösen. Die aufkeimenden Gefühle von Wut, Trauer, Schuld und Scham sind oft nur schwer auszuhalten. Gerade das Warten auf die nächste Therapiestunde scheint endlos zu werden, wenn man sich mit heftigen Gefühlen herumschlägt.
Meistens werden diese heftigen Gefühle nach und nach in der Therapie aufgefangen, verarbeitet und verdaut. Die Psyche integriert das, was vorher in der Seele keinen richtigen Platz hatte – zum Beispiel traurige Ereignisse aus der Vergangenheit oder auch traumatische Erlebnisse. In diesem Prozess erlebt der Patient immer wieder Zeiten, in denen es ihm tatsächlich schlechter gehen kann als vorher. Über die Zeit gesehen nehmen die Emotionen meistens in ihrer Heftigkeit wieder ab und im Therapieverlauf werden viele neue, bessere Erfahrungen möglich: Erfahrungen der Erleichterung und der Beruhigung.
Die eigenen Gefühle ernst nehmen
Es mag Zeiten geben, da fühlt man sich als Patient selbst zu geschwächt, um das Gefühl zu haben, dass man die Therapie selbst mitgestaltet. Man fühlt sich vielleicht völlig ausgeliefert. Doch wo immer es geht, sollte man Zweifel direkt beim Therapeuten ansprechen. Es besteht auch immer die Möglichkeit, genau wie bei Arztbesuchen, eine Zweitmeinung einzuholen. Das A und O bei der Therapeutenwahl ist, dass der Therapeut einem (wenigstens etwas) sympathisch ist. Vielen Betroffenen fällt es anfangs schwer, sagen zu können, ob sie den Therapeuten sympathisch finden oder nicht – ihr allgemeines Misstrauen ist möglicherweise zu groß. Aber vielleicht fühlen sie ein kleines Band des Vertrauens, was da ist. Das reicht in vielen Fällen schon.
Die Ausbildung des Therapeuten ist ein wichtiger Faktor
Was in er Therapie mit heilt, ist die Beziehung zum Therapeuten. Mindestens ebenso wichtig wie – zumindest das Fünkchen – Sympathie ist die gute Ausbildung oder der gute Ausbildungsrahmen des Therapeuten. Psychoanalytiker in Ausbildung machen selbst eine „Lehranalyse“ und arbeiten somit an sich selbst. Auch Psychotherapeuten anderer Richtungen machen „Selbsterfahrungskurse“, die jedoch nicht so intensiv sind. Dennoch: Nur nach einem abgeschlossenem Studium und nachfolgender Psychotherapieausbildung darf man sich „Psychotherapeut“ nennen. Meistens sind es Ärzte („ärztliche Psychotherapeuten“, häufig mit dem Titel „Dr. med.“) oder Psychologen („psychologische Psychotherapeuten“, häufig mit dem Titel „Dr. phil.“). Viele Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) sind Diplom-Pädagogen (Dipl.-Päd.). Unter den Psychoanalytikern findet man auch Analytiker, die Theologie, Jura oder ein anderes Fach studiert haben.
Heilpraktiker für Psychotherapie
Der Heilpraktiker für Psychotherapie darf sich nicht Psychotherapeut nennen. Zur Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie ist kein abgeschlossenes Studium notwendig – Voraussetzung für die Ausbildung ist ein Realschulabschluss oder ein Hauptschulabschluss plus abgeschlossene Berufsausbildung.
Es gibt jedoch einige Psychologen und Pädagogen, die die Erlaubnis zur Patientenbehandlung mithilfe des Titels „Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz“ erlangen. Ärzte benötigen den Titel „Heilpraktiker für Psychotherapie“ nicht – er ist in der Approbation sozusagen schon enthalten.
Die Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie ist für viele finanziell erschwinglich und von relativ kurzer Dauer. Der „Heilpraktiker für Psychotherapie“ hat jedoch von allen psychotherapeutisch Tätigen den kürzesten und oberflächlichsten Ausbildungsweg.
Fazit
In einer Psychotherapie gibt es immer Phasen, in denen man sich so unwohl fühlt wie eh und je oder in denen alles sogar schlimmer ist. Doch in der Regel lassen sich die heftigen Gefühle im Verlauf der Therapie verstehen. Wichtig ist die Sympathie zwischen Therapeut und Patient sowie die gute Ausbildung des Therapeuten. Probleme sollten nach Möglichkeit mit dem Therapeuten besprochen werden. Eine Zweitmeinung ist jederzeit möglich.
Auch der Abbruch einer Therapie ist weder Schande noch Versagen – eine zeitlang kann man bei Unbehagen noch abwarten, doch wenn man das Gefühl hat, es reicht, kann man selbstverständlich gehen. Natürlich gibt es auch Situationen in der Therapie, die einen sofortigen Abbruch verlangen und eine Beschwerde bei der Psychotherapeutenkammer (z.B. bei sexuellem Missbrauch). Doch im Allgemeinen kann ich sagen: Eine gute Psychotherapie kann ein sehr wertvoller Baustein im Leben sein und auch zur Heilung auf vielen Ebenen führen. Mehr dazu in meinem Buch „Psychoanalyse tut gut – ein Ratgeber für Hilfesuchende“.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Nebenwirkungen der Psychotherapie – kostenloser Artikel bei „Gehirn&Geist“
Buchtipp: Harold F. Searles: Der psychoanalytische Beitrag zur Schizophrenieforschung
Dunja Voos: „Psychoanalyse tut gut – ein Ratgeber für Hilfesuchende“
Links:
Wikipedia: Psychotherapie (Heilpraktikergesetz)
Stefanie Schramm:
Nebenwirkungen
Beipackzettel für die Psychotherapie.
Wenn Menschen eine Therapie beginnen, ahnen sie nichts von möglichen Nebenwirkungen.
ZEIT-online, 6.12.2012
Barbara Dribusch:
Abhängigkeit vom Psychotherapeuten
Keiner versteht mich so wie er
taz.de, 18.5.2012
http://www.taz.de/!93611/
Conrad, Annegret:
Nebenwirkungen von Psychotherapie aus Klientensicht
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie,
Kongresspräsentation 2010
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.12.2012
Aktualisiert am 1.2.2016