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Psychoanalyse: zwei Körper in einem Raum (III): Berührungen

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tatzen_hell„In der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt.“ Das sagte Sigmund Freud bereits 1916 in seinen “Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse” (“Die Fehlleistungen”, siehe Projekt Gutenberg). Die Psychoanalytiker Sandor Ferenczi, Michael Balint und Donald Winnicott berührten ihre Patienten sehr wohl. Ferenczi und Freud hatten deswegen heftige Auseinandersetzungen. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Ethikrichtlinien

“Psychoanalytiker” ist keine rechtlich geschützte Berufsbezeichnung, sodass jeder sich so nennen kann, der diese Arbeit ausführt. Daher kann es in Psychoanalysen auch alles Mögliche geben. Ich selbst mache meine Ausbildung bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Psychoanalytiker der DPV berühren ihre Patienten in der Regel nicht. Außer dem Händeschütteln zur Begrüßung und zum Abschied gibt es keine Berührungen.

In den Ethikrichtlinien der DPV (2008) heißt es:

3. Abstinenz
“Psychoanalytische Tätigkeit bedarf einer Kompetenz zur gesicherten Einhaltung von Disziplin und Abstinenz in allen sprachlichen und körperlichen Äußerungen. Verbale Angriffe (z.B. taktlose und kränkend-entwertende Äußerungen) beschädigen die psychoanalytische Arbeit ebenso wie körperliche Übergriffe. Psychoanalytiker sind deshalb verpflichtet, ihre Kompetenz und ihre persönliche Autorität nicht zur Befriedigung eigener narzisstischer, erotischer oder aggressiver Bedürfnisse zu missbrauchen. Die Verpflichtung zur Abstinenz gilt auch über die Beendigung der analytischen Arbeitsbeziehung hinaus.”

Der Psychoanalytiker Jörg Scharff (DPV) hat auf den 56. Lindauer Psychotherapiewochen (LPTW, 2006) einen wunderbaren Vortrag zum Thema „Körperliche Berührung in der psychoanalytischen Situation“ gehalten, der auf der LPTW-Website zum Download bereit steht. Das Thema der Tagung 2006 hieß “Berühren und berührt werden” – viele weitere interessante Beiträge sind also ebenfalls dort zu finden.

Psychoanalyse wirkt auch auf den Körper

Jörg Scharff erklärt, dass die Psychoanalyse nicht nur auf die Psyche wirkt. Auch Körperliches kann hier bearbeitet werden: “Gerade dadurch, dass alle körperlichen Vorgänge und damit verbundenen Beziehungsphantasien zu Wort kommen können, bietet die Psychoanalyse dem Körperlichen, das in Sprache gefasst und so mit Worten berührt werden kann, einen weiten Entfaltungsraum.”

Berührung ist keine Lösung

Oft können Worte nicht gefunden werden, da könnte eine Berührung doch die Lösung sein, oder? Scharff gibt ein Beispiel: Ein Analytiker legte seine Hand auf die Couch und bot seinem aufgewühlten Patienten an, diese Hand zu nehmen, wenn er es bräuchte. Das klingt gut und schön. Doch Scharff fragt kritisch: “Ist sich der Psychoanalytiker auch immer genügend klar, dass sein Patient sich vielleicht unfähig oder sogar schuldig fühlt, wenn er die gut gemeinten Angebote seines Behandlers nicht annehmen kann? (Küchenhoff 1990, S. 27 f.)”

Auch geht er darauf ein, dass der Wunsch des Patienten, berührt zu werden, gleichzeitig den gegenteiligen Wunsch enthalten kann. Scharff fragt: “Ist er (der Behandler) sich auch klar, dass vor allem bei bestimmten Borderline-Patienten Berührung zwar unter Umständen ersehnt, gefordert, eingeklagt wird, aber im gleichen Atemzug auch als intrusiver Akt eines grenzüberschreitenden Objekts gefürchtet wird?”

Körperliche Berührung kann dazu dienen, sich das Seelische vom Leib zu halten

Eine körperliche Berührung sollte eigentlich Nähe herstellen, doch kann sie das Gegenteil bewirken. Scharff gibt zu bedenken: “Ist auch immer gesagt, dass das, was einerseits so nah erscheint, nicht letztlich doch ein Gestus ist, mit dem der Analytiker seinen Patienten abspeist und ihn sich seelisch vom Leib hält? … Auch die Inszenierung des alten Scheiterns, der alten Traumatisierungen braucht ihren Platz …”

Doch auch das Nicht-Berühren kann Zweifel hervorrufen: Es könnte durch das “nicht gewährende Verhalten” die “Phantasie eines Errettetwerdens” und eine “suchtartige Abhängigkeit vom Analytiker aufrechterhalten” werden, so Scharff.

Mit vier Ohren hören, mit vielen Fantasien berührt werden

Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun (Wikipedia) prägte das Bild den “vier Ohren” (Wikipedia), mit denen man Gesagtes hört. Jeder Satz kann eine Sachebene, einen Appell, eine Selbstoffenbarung und eine Beziehungsseite enthalten. Der Satz “Hier müsste mal gesaugt werden” spiegelt das wider. Bei einer Berührung ist es nicht anders: Sie kann viele, viele Informationen enthalten. Wie der Patient eine Berührung in der Fantasie verarbeiten würde, ist nicht vorauszusehen.

Jörg Scharff sagt: Es gibt “also nicht einfach die Möglichkeit über die körperliche Berührung ‚ganz unmittelbar’ zu kommunizieren – was übrigens für jeden anderen Kommunikationsmodus auch gilt. Es geschieht auf der fantasmatischen Ebene immer mehr als die beiden Beteiligten im Moment realisieren können.”

Der Dritte ist der Anker

In der Psychoanalyse sind zwar nur zwei Menschen in einem Raum. Doch so, wie der Patient vielleicht Partner und Familie im Rücken hat, so kann sich der Analytiker mit seinen Kollegen austauschen. Doch es können Situationen entstehen, über die auch der Analytiker nicht leicht mit anderen sprechen kann. Zu peinlich könnte ihm sein, was ihm da passiert ist, was er gesagt hat oder wie er den Patienten eben doch berührt hat. Scharff: “Der Bezug zu einem Dritten, für den die psychoanalytische Kollegengruppe steht, ist dabei essenziell. Wer bei sich feststellt, dass er über das, was zwischen ihm und dem Patienten geschieht, anderen nicht berichten kann, sollte dies als ernsthaftes Warnzeichen verstehen.”

Berührung kann möglich werden, gehört aber eigentlich nicht dazu

Die Berührung gehört also nicht zur psychoanalytischen Methode. Scharff formuliert: “Auch wenn der Psychoanalytiker sich einer spontanen Reaktion nicht verschließen mag, wird er in den meisten Situationen doch eine methodisch bedingte Zurückhaltung üben, was die direkte körperliche Berührung angeht. Für ihn gibt es die Berührung als ein mögliches ‚Ereignis’, das im analytischen Rahmen geschehen kann, aber es gehört nicht explizit zum Rahmen selbst.”

Zwanghaftes Ablehnen von Berührung führt nicht weiter

Das absolute Ablehnen der Berührung kann jedoch ebenfalls zum Problem werden. Scharff sagt: “Eine phobische oder defensiv vom Über-Ich geleitete Einstellung verhindert nämlich gleichfalls einen professionellen Umgang mit dem Thema der körperlichen Berührung. … Eine allzu rigide Tabubildung könnte sich sogar dahin auswirken, dass der Psychoanalytiker noch nicht einmal Fantasien über Berührung zulässt und damit das Spiel seiner Gegenübertragung einengt, was für die Behandlung durchaus kontraproduktiv wäre – ganz egal wie man sich dann im Einzelfall letztlich entscheidet.”

Zuletzt erinnert Scharff daran, dass nicht nur das Tun, sondern auch das allzu strenge Unterlassen ein Agieren sein kann. Er sagt: “Ob man nun berührt oder nicht, vor einem Agieren in der einen oder anderen Richtung ist niemand geschützt.”

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 29.11.2015


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